Schock in Kempen: Bauerfeind macht dicht
Wirtschaft: Der Hersteller orthopädischer Strümpfe schließt Ende des Jahres sein Werk in Kempen. 200 Mitarbeiter sind davon betroffen.
Kempen. Die Firma Bauerfeind, Hersteller orthopädischer Strümpfe, schließt Ende des Jahres seinen Standort in Kempen. 200 Mitarbeiter sind betroffen. "Wir wollen die Produktion orthopädischer Hilfsmittel in Thüringen konzentrieren", sagte Marketing-Leiter Roland Schnurpfeil.
Grund für die Schließung des Werks an der Arnoldstraße 15 im Gewerbegebiet "Am Selder" sei die Einfuhr wesentlich günstigerer Produkte aus dem Ausland sowie der verschärfte Wettbewerb im Zuge der letzten Gesundheitsreform.
Die Vorgeschichte: Bauerfeind hat in den 90er-Jahren nach der Wende seine Zentrale wieder nach Zeulenroda (Thüringen) verlegt, wo das Unternehmen 1929 gegründet worden ist. Seitdem kursieren Gerüchte, dass alle Kräfte im Osten gebündelt werden, und das Damoklesschwert der Schließung hängt über Kempen. In der Thomasstadt gibt es Bauerfeind seit 1972, anfangs mit rund 400Mitarbeitern. Bereits am 13.11.1998 titelte die WZ: "Geht jetzt auch Bauerfeind?"
Am Donnerstag nun um 13.45 Uhr erhielten die Mitarbeiter die Information, sie mögen sich um 14 Uhr in der Produktionshalle zu einer Betriebsversammlung einfinden. Zu diesem Zeitpunkt wurden Betriebsrat und Wirtschafts-Ausschuss bereits eingeweiht, dass Ende 2008 die Lichter ausgehen. Um 14 Uhr traten dann Personalleiter Martin Lenz und Produktionsleiter Andreas Lauth vor die Belegschaft und verkündeten die wenig frohe Botschaft.
"Es ist daraufhin recht laut geworden", schildert ein Mitarbeiter die Stimmung. Pfiffe und wütende Nachfragen kamen aus der Runde. Die Leiter informierten, dass allen Beschäftigten ein vergleichbarer Arbeitsplatz in Zeulenroda angeboten wird.
"Das ist wegen der familiären Bindungen aber für viele kein Thema", schüttelt die Betriebsrats-Vorsitzende Dagmar Redelings den Kopf. Für sie und ihr neunköpfiges Gremium- Bauerfeind hat erst seit zweieinhalb Jahren einen Betriebsrat- geht es jetzt in erster Linie darum, vernünftige Abfindungen für die Mitarbeiter auszuhandeln.
Hierfür wird als erstes der Betriebsrats-Anwalt eingeschaltet. Mit der Arbeitgeberseite setzt der Betriebsrat sich jetzt auch so schnell es geht zusammen, um zügig einen gescheiten Sozialplan auf den Tisch zu legen.
"Puh, jetzt ist in erster Linie die Agentur für Arbeit gefordert", war auch Kempens 1. Beigeordneter Volker Rübo am Donnerstagnachmittag sichtlich gezeichnet von der Hiobsbotschaft. Firmen-Chef Hans Bruno Bauerfeind hatte Kempens Bürgermeister Karl Hensel, der zurzeit in Urlaub ist, am Mittwoch schriftlich über den Schritt informiert.
Rübo appelliert an Bauerfeind, altgediente Mitarbeiter fair zu behandeln: "Ansonsten sind uns als Stadt ja die Hände gebunden." Rübo, als Kämmerer auch oberster Kassenwart der Stadt, wollte aber auch seine Enttäuschung über die Firmenentscheidung nicht verhehlen. "Nach dem beigelegten Umsatzsteuerstreit und der Gewerbesteuer-Umgruppierung dachten wir eigentlich, dass wir mit der Firma jetzt wieder in ruhigeres Fahrwasser kommen."
Stichwort Umsatzsteuer: Eine Bauerfeind-Forderung an zuviel gezahlter Steuer in Höhe von sechs Millionen Euro wurde fiskalisch ad acta gelegt bzw. auf 700 000 Euro reduziert. Und zum Stichwort Gewerbesteuer-Umgruppierung: Als Bauerfeind den Firmensitz ab 2004 komplett auf Zeulenroda überschrieb, ging der Stadt viel Steuergeld verloren- Bauerfeind war bis dahin der zweitgrößte Gewerbesteuerzahler der Stadt.
Beides für das Unternehmen günstige Entscheidungen, die dennoch nicht verhindern konnten, dass die zentrifugalen Kräfte Richtung Osten am Ende überwogen.
Was wird aus dem riesigen Firmengebäude von Bauerfeind an der Arnoldstraße? Diese Frage konnte am Donnerstag noch keiner der Beteiligten beantworten. In den nächsten Monaten dürfte eine Krisensitzung die nächste jagen...