Bundesweit einmalig Jüdisches Bethaus wird Gedenkstätte

Viersen · Die Nazis enteigneten die Jüdische Gemeinde, das Bethaus ging in den Besitz der Viersener Stadtwerke über, wurde später an Privatleute verkauft. Jetzt war die Schlüsselübergabe an die Jüdische Gemeinde. An der Rektoratstraße in Viersen soll eine Gedenkstätte entstehen.

Bei der Schlüsselübergabe: Mönchengladbachs Oberbürgermeister Felix Heinrichs (SPD), Francisca Lennart vom Verein für Erinnerungskultur Viersen, der CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Plum und Lea Floh, Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mönchengladbach-Viersen.

Foto: Gedenkstätte Viersen

Nach jahrelangen Bemühungen wird aus einem unscheinbaren, grau gestrichenen Haus an der Rektoratstraße in Viersen nun etwas bundesweit einmaliges: in dem früheren Bethaus der jüdischen Gemeinde soll eine Gedenkstätte entstehen.

Seit der Enteignung in der Zeit des NS-Regimes steht somit die Immobilie nach rund 82 Jahren wieder in der Nutzung der Jüdischen Gemeinde. Dieses Ereignis wurde jetzt durch eine feierliche Schlüsselübergabe an die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mönchengladbach–Viersen, Lea Floh, gefeiert.

Die Nazis hatten die Immobilie den damaligen Viersener Stadtwerken zugeschlagen; nun kaufte die NEW das Haus. Auch die Sparkassen-Stiftung brachte sich finanziell ein.

Entscheidender Impulsgeber war im Vorfeld die politische Entscheidung der Stadträte in Viersen und Mönchengladbach Anfang Juli 2024, zukünftig die Betriebskosten je zur Hälfte für die geplante Gedenkstätte im ehemaligen jüdischen Schul- und Bethaus zu übernehmen.

Hinter den Kulissen hatte sich der Viersener CDU-Bundestagsabgeordnete Martin Plum für die jüdische Gedenkstätte in Viersen eingesetzt. „Dass die langen Bemühungen um den Erwerb des ehemaligen jüdischen Schul- und Bethauses in Viersen nun von Erfolg gekrönt sind, ist ein echter Glücksfall für unsere Stadt“, sagte er bei der Schlüsselübergabe. „Die jüdische Gemeinde hält nun endlich wieder in Händen, was ihr daraus vor über 80 Jahren entrissen wurde“, so Plum. „Gerade in Zeiten, in denen Hass und Hetze gegen Israel und jüdisches Leben in Deutschland und anderswo auf der Welt massiv zunehmen, ist das ein wichtiges Zeichen der Solidarität und gegen das Vergessen und die Leugnung des Holocausts.“

Seit 1863 befand sich die jüdische Volksschule an der Rektoratstraße 10 in Viersen. Neben Schulräumen gehörten zum Haus noch ein Betsaal sowie eine Stallung, ein Hofraum und ein Garten. 1895 ging das Gebäude in das Eigentum der Jüdischen Spezialgemeinde Viersen über, nach der Enteignung 1942 gehörte es den Stadtwerken Viersen. Im Jahr 2000 veräußerten die Stadtwerke die Immobilie an private Erwerber. Eine an der Außenmauer des Hauses angebrachte Gedenktafel erinnert an die jüdische Vergangenheit des Hauses.

Angesichts der historischen, kulturellen und religiösen Bedeutung des Gebäudes soll künftig dort eine Nutzung als Gedenkstätte und als Ort der öffentlich wahrnehmbaren Erinnerungskultur mit überregionaler Strahlkraft erfolgen. Dabei sollen digitale Medien in der zukünftigen Gedenkstättenpädagogik eine wichtige Rolle spielen, kündigte Francisca Lennartz vom Verein für Erinnerungskultur Viersen an. „Ziel wird es sein, mit zeitgemäßen Medien auch junge Menschen abzuholen.“ Mit emotionalen Begegnungen, mit Gesprächen über die Vergangenheit und Gegenwart. Der neue Ansatz, Geschichtsbewusstsein durch technische Faszination und Begeisterung zu wecken, erziele bereits vor der offiziellen Eröffnung der Gedenkstätte zu einer großen Aufmerksamkeit.

Im Oktober gab es bereits einen persönlichen Austausch mit Familienangehörigen der Eheleute Israel und Berta Nussbaum. Israel Nussbaum war ehemaliger Schulleiter und Vorsteher der Jüdischen Gemeinde Viersen. Die Entscheidung der Eheleute Nussbaum, trotz schlimmster Erfahrungen in der Reichspogromnacht und danach Viersen nicht zu verlassen, zeige die unerschütterliche Verbundenheit der Familie zu Ihrer Heimatstadt Viersen, so Lennartz. „Mit der geplanten Gedenkstätte verbinden die heute in England lebende Nachfahren der Familie Nussbaum auch Hoffnungen, Erfolge und Herausforderungen von Generationen jüdischer Menschen in Viersen und Umgebung zum Leben zu erwecken. Sie kehren heute voller Zuversicht und Hoffnung zur Wirkungsstätte ihrer Urgroßeltern zurück und bringen uns eine wichtige Botschaft: ,Seid zuversichtlich und hütet euch vor Stereotypen’.“

Die Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde Mönchengladbach–Viersen zitierte bei der Schlüsselübergabe den Propheten Isaja: „Mein Haus wird ein Haus des Gebets für alle Menschen genannt werden. Wenn dieses Haus zu seinem Besitzer zurückkehrt, ist das ein Segen für alle Menschen.“