Neersen Ein „Schweinehund“ sorgt für Lebensmut

Viel Beifall gab es nach der Premiere von „Ziemlich beste Freunde“ bei den Schlossfestspielen.

Foto: Achim Hüskes

Neersen. Im Kino war die Geschichte ein gigantischer Erfolg: Zusammengerechnet fast 30 Millionen Besucher sahen 2012 in Frankreich und Deutschland „Ziemlich beste Freunde“. Die Bilder dieses Films, etwa die einer wilden Fahrt im schwarzen Maserati durch das nächtliche Paris, haben viele noch im Kopf. Kann man als Theaterregisseur das Wagnis eingehen, gegen diese Bilder im Kopf den Stoff erfolgreich auf die Bühne der Schlossfestspiele zu bringen?

Jan Bodinus, Intendant und Regisseur, macht es dem Zuschauer nicht leicht: Der Film scheint an vielen Stellen zu bersten vor Tempo — die Bühnenfassung von Gunnar Dreßler dagegen hat in Neersen unglaublich langsame Passagen. Was vor allem an einem namenlosen Hauptdarsteller liegt: dem Elektro-Rollstuhl.

In diesem sitzt der nach einem Unfall querschnittgelähmte Millionär Philippe, gespielt von Matthias Freihof. Wie der das Gerät über eine Spezialschaltung mit dem Mund über die Bühne lenkt, nötigt Respekt ab. Manchmal möchte man als Zuschauer aber aufspringen, um ihm bei der Kurverei zu helfen, damit es ein wenig schneller geht.

Freihof hält sich exakt an seine bewegungslose Rolle, nur Kopf und Stimme stehen ihm für sein Spiel zur Verfügung. Und er löst diese Aufgabe mit Bravour — besonders nach der Pause, wo es einige besonders beklemmende Szenen gibt. Wie er da in stummer Verzweiflung als Philippe, der jeglichen Lebensmut verloren hat, im Bett liegt — im Publikum hätte man die berühmte Stecknadel fallen hören.

Im Kontrast zu Philippe steht der Sozialhilfeempfänger Driss, der gerade aus dem Gefängnis entlassen wurde und im Haus des Millionärs als Pfleger eingestellt wird. Pierre Sanoussi-Bliss gibt ihn wild, witzig, respektlos — fast pausenlos tigert er über die Bühne.

„Morgen alle miteinander. Bleiben Sie ruhig sitzen“, grüßt Driss schon beim ersten Betreten der Villa schnodderig in die Runde — wohl wissend, dass Philippe notgedrungen sitzen bleiben muss. Die Verwandtschaft ist schockiert von diesem „Schweinehund“, wie der Millionär seinen Pfleger mehrfach bezeichnet — und versucht ihn aus dem Haus zu bekommen. „Die Typen aus dem Ghetto kennen kein Mitleid“, mahnt da Antoine mit Grabesstimme — „genau das ist es, was ich will“, antwortet Philippe.

Nicht jeder Einfall zündet. Wie Driss sich etwa als Spray-Künstler versucht, bleibt vielen Zuschauern fast verborgen: Von der linken Tribünenseite aus ist Pierre Sanoussi-Bliss am Abgang zum Schlosskeller kaum zu sehen. Schön dagegen die Szene, in der mit wenigen Armbewegungen, Licht und Schatten ein gemeinsamer Paragliding-Flug von Philippe und Driss angedeutet wird.

So wie hier haben Freihof und Sanoussi-Bliss, aus Film und Fernsehen bestens bekannt, oft Gelegenheit, ihre großen darstellerischen Fähigkeiten zu zeigen — anders als Carole Schmitt und Sven Post in verschiedenen kleinen Rollen. Etwas blass bleibt auch Dagmar Hurtak-Beckmann, die kurzfristig die Magalie von einer Kollegin übernommen hat.

Gut funktioniert der Einsatz von Musik, um die beiden Protagonisten zu charakterisieren. Die Klassik ist es bei Philippe, Driss liebt Rock und Pop — die „Vier Jahreszeiten“ kämpfen gegen die „Four Seasons“. Der Gelähmte, der seine Lebensfreude zurückgewonnen hat, „tanzt“ am Ende im Rollstuhl — und der Mann aus dem Ghetto lernt, dass Berlioz nicht nur ein Stadtteil von Paris ist. Vor allem aber lernt er, Verantwortung zu übernehmen, auch für die eigene Familie.

Kann man „Ziemlich beste Freunde“ erfolgreich auf die Bühne bringen? Jan Bodinus hat es gewagt — und am Ende gibt es vom ausverkauften Haus stehenden Applaus.