Reportage: Kampf mit der Weltmeisterin
Wussten Sie, dass in Anrath ein Tischtennis-Champion lebt? Jing Tian-Zörner spielt für Holzbüttgen in der 2. Bundesliga. WZ-Redakteur Peter Korall forderte sie heraus.
Anrath/Holzbüttgen. Gut, ich gehöre nicht zur deutschen Spitze bei den Tischtennis-Spielern. Aber ich bin ganz sicher, gegen die chinesisch-stämmige Jing (47) werde ich mich durchsetzen. Sie ist Abwehrspielerin - das liegt mir. Und außerdem ist sie nur unwesentlich jünger, also werde ich keine konditionellen Probleme bekommen - glaube ich.
Ortstermin: Mittags in der Sporthalle der Astrid-Lindgren-Schule in Holzbüttgen. Fertig umgezogen zum Match gehe ich an die Platte, nicht ohne vorher einen Blick von oben herab auf meine Gegnerin zu werfen. Die pack’ ich, da bin ich ganz sicher.
Wir spielen uns ein, beginnen mit Konterbällen. Kaum bin ich ein wenig ins Spiel gekommen, macht Jing schneller, schmettert immer wieder mal. Pah, die wird schon sehen, was sie davon hat. Was mich irritiert: Sie lächelt, so als fühle sie sich tatsächlich überlegen.
Dann stellt sie ihr Spiel um, geht in die Defensive. Jetzt kann ich loslegen. Seit drei Wochen habe ich beim heimischen TTC Breyell mit einem Abwehrspieler trainiert. Eine Erfahrung, die ich jetzt umsetzen muss. Dennoch merke ich, dass ich häufig einen Schritt zu spät komme, irgendwie falsch stehe. Das kann doch mit meinem Gegenüber nichts zu tun haben, oder?
Ich bin warm, um ehrlich zu sein sogar ein wenig aus der Puste. Wir legen los, vereinbaren ein Spiel über drei Gewinnsätze. Eine Aufschlagwahl gibt’s nicht, Jing lässt mir den Vortritt. Ah, sie hat was zu verschenken. Wird sie schon sehen, wo das endet.
Mein Aufschlag, Top-Spin, ihr Abwehrball landet im Nirwana. Ich wusste es, ich bin auf dem richtigen Weg. Die nächsten beiden Abwehrbälle, die mir die ehemalige deutsche Meisterin serviert, erinnern mich fatal an Rasiermesser, so scharf ist der Schnitt, den sie dem Ball mitgibt. Ich verschlage.
Dann aber komme ich wieder zum Zuge, 2:2, na, geht doch! Wenn auch nicht so wirklich. Die nächsten Ballwechsel sind schnell vorbei. Irgendwie treffe ich zwar den Ball, nicht aber die Platte. Bevor ich mich richtig umgeguckt habe, steht’s 10:2, ein Ballwechsel später ist der Satz zu Ende. Jeder hat mal eine schlechte Phase, denke ich.
Ich greife zum Handtuch und zur Wasserflasche, mein Blick fällt auf den WZ-Fotografen Friedhelm Reimann. Der hat so etwas Mitleidiges im Blick. Ich beschließe, das nicht als schlechtes Zeichen zu nehmen, gehe wieder an die Platte. Gute Spieler haken schlechte Sätze ab, und das zügig.
Der zweite Satz läuft nicht so gut an wie der erste. Irgendwie beschleicht mich das Gefühl, meine Gegnerin lässt mich ins Spiel kommen, ich kann aber aus der Situation nichts machen. Also maule ich mich erstmal selbst an. Was nicht weiter hilft. So bei 0:5 mache ich den ersten Punkt.
Und schöpfe Mut. Als ich den zweiten mache, ist Jing schon bei 9. Ob mein sich anbahnendes Versagen mit ihr zu tun hat? Dieser Verdacht bekommt Nahrung, als Jing plötzlich einen Aufschlag spielt, dem ich ansehe, dass er gefährlich ist. Aber ich ahne, was sie vorhat. Der Schnitt ist so, dass der Ball vom Schläger aus hoch in die Luft fliegen würde. Fast schon lässig nehme ich an - der Ball fällt total unerwartet Richtung Boden. Macht ja nix, der Satz war eh’ schon weg.
Satzpause. Der Blick des Kollegen Reimann wird deutlicher. Er deutet das Mitleid nicht mehr nur an, er zeigt es ganz offen. Und ich glaube sogar, eine Spur Schadenfreude in seiner Mine erkennen zu können. Jetzt wird’s Zeit. Junge, du musst aufdrehen, sage ich mir. Und gehe - ganz den entschlossenen Gesichtsausdruck aufgesetzt - wieder an die Platte.
Ich versuche, die Psycho-Keule auszupacken. "Gibst Du auf?", frage ich meine Gegnerin. Sie lächelt und sagt ohne nachzudenken: "Nein!" Dennoch wirkt das Psycho-Spiel. Wenn auch nicht so, wie ich es mir vorgestellt hätte. Im Nachhinein ist man schlauer.
Ich hätte diese Frage besser nicht gestellt. Jetzt lässt Jing es nicht nur bei Abwehrbällen bewenden, sie wählt immer häufiger den Angriff. Und blöderweise macht sie keinen Fehler, nicht einen einzigen. Ich kann noch so sehr alles auf eine Karte setzen, für einen Punkt reicht es nicht. 0:11, das ist vernichtend. Und mit Formschwäche nicht zu erklären.
Was bleibt? Ich schwenke sinnbildlich die weiße Fahne, kapituliere und gratuliere fair. Immerhin gegen eine Weltmeisterin verloren. Abklatschen, fertig. Und während ich schweißüberströmt meine Sachen packe und mich auf die Dusche freue, bereitet Jing sich auf das Training mit ihrer Mannschaftskollegin vor. Was das heißt? Sie macht erstmal ein paar Aufwärmübungen.
Vielen Dank: Es war ein einziger Anruf, eine Nachfrage, und schon war klar: Jing Tian-Zörner macht den Spaß mit. Die WZ-Redaktion sagt nochmal ausdrücklich ganz artig "Danke".