Buch-Tipp der Stadtbücherei Tönisvorst Todesfall beim Wattwandern
Tönisvorst · Carmen Alonso, Leiterin der Tönisvorster Stadtbücherei, gibt unseren Lesern Literaturtipps. Diesmal: „Der Holländer“ von Mathijs Deen.
Ich gebe es lieber gleich zu: Ich bin kein Typ für nervenzerreißende Thriller oder „hard-boiled“ Krimis, also grausame Morddarstellungen, Psychopathen oder ähnliche Genre-Folklore. Hier eine Geschichte, die ganz ohne Gewaltszenen auskommt, die aber trotzdem spannend ist, und das mit einem außergewöhnlichen Ermittler als Hauptfigur sowie einem originellen Einblick in die merkwürdige Szene der Wattwanderer.
Wattwandern ist nämlich ein sehr spezielles, risikoreiches Hobby: Nur wenn Gezeiten, Witterung und Windrichtung es zulassen, brechen diese Sportler auf, um quer durch das Wattenmeer von einem Ort zum anderen zu gelangen; die Strecken veröffentlichen sie dann im Internet, damit andere Gleichgesinnte sie gefahrlos nachlaufen können. Die von Greetsiel an der Küste Frieslands zur Insel Borkum gilt dabei als „Mount-Everest“ der Wattwanderer, da diese Strecke nur bei optimalen Bedingungen zu schaffen ist, und die gibt es – wenn überhaupt – nur alle paar Jahre einmal.
Drei Freunden, Experten im Extrem-Wattwandern, fehlt exakt diese Überquerung noch, und als die Bedingungen endlich perfekt scheinen, ist Aaron, einer der Freunde, gerade in England und schafft es nicht zeitgerecht vor Ort zu sein. Die beiden anderen, Klaus und Peter, gehen alleine los. Am Ziel kommt aber nur Peter an, total erschöpft, ausgelaugt und verwirrt. Klaus wird tot auf einer Sandbank gefunden und von der niederländischen Wasserschutzpolizei geborgen, knapp bevor die Flut den Leichnam ins Meer zieht. Peter erzählt von einem Unfall und davon, dass Klaus von der Strömung eines Priels mitgerissen wurde. Sehr unwahrscheinlich bei so erfahrenen Wattwanderern. Außerdem hatte der Tote nur sehr wenig Wasser in der Lunge, er ist also nicht ertrunken, sondern wahrscheinlich erstickt. Merkwürdig ist auch eine Verletzung am Ohr. Handelt es sich womöglich um Mord? Und es gibt noch weitere Probleme: Denn der Tote, ein Deutscher, wurde auf der Sandbank De Hond gefunden, die sowohl die Holländer als auch die Deutschen für sich reklamieren; der Grenzverlauf im Wattenmeer ist da ein bisschen unklar. Während das Kompetenzgerangel beiderseits der Grenze immer weiter eskaliert, schickt die Bundespolizei in Cuxhaven einen Ermittler nach Delfzijl, quasi undercover: Liewe Cupido, gebürtiger Deutscher, aber auf der niederländischen Insel Texel aufgewachsen. Seine deutschen Kollegen nennen diesen eigenwilligen, kauzigen Typen: den Holländer. Wer, wenn nicht er, könnte den Fall lösen?
Schon nach seinen ersten Gesprächen stellt Cupido fest, dass das Verhältnis unter den drei Wattwanderern nicht gerade spannungsfrei war und dass auch der sich in England aufhaltende Freund Aaron etwas mit dem Tod von Klaus zu tun haben könnte. Cupido kommt einem tragischen Ereignis auf die Spur, das schon ein paar Jahre zurückliegt, das aber letztendlich der Auslöser für den Tod des Wattwanderers verantwortlich sein könnte …
Kein Thriller also! Dieser ruhig, fast lakonisch erzählte Roman entfaltet seinen besonderen Charme eher in der detaillierten Beschreibung der Natur, des Wattenmeeres und seiner Anwohner, die oft wortkarg und ein wenig schroff erscheinen, weil sie sich in ihren Antworten lieber auf Wesentliches beschränken. Wie bei einer starken Meeresströmung entwickelt der Krimi aber einen starken Sog, der nicht mehr loslässt und in die Geschichte hineinzieht. Man gewöhnt sich an die unaufgeregte Erzählweise und die dichte Atmosphäre, die der niederländische Autor Mathijs Deen damit erzeugt. Und weil die Beschreibung des Konflikts zwischen Holländern und Deutschen auch nicht frei von Komik ist, erwischt man sich dabei, dass man fast ein bisschen enttäuscht ist, dass der Roman nach 263 Seiten schon zu Ende ist. Ein Nachfolgeband mit Kommissar Cupido ist zum Glück schon in Sicht.