Buchtipp aus der Stadtbücherei Tönisvorst Eine nicht ganz alltägliche Familiengeschichte

Tönisvorst · Carmen Alonso, Leiterin der Tönisvorster Stadtbücherei, gibt unseren Lesern Literaturtipps. Diesmal: „Tausche zwei Hitler gegen eine Marilyn“ von Adam Andrusier.

Carmen Alonso leitet die Stadtbücherei in Tönisvorst. Sie empfiehlt aktuell einen Roman, in dem alle ein bisschen verrückt sind.

Foto: Marc Schütz

(Red) Auf dem Buchmarkt lassen sich immer gewisse Trends beobachten, schwer in Mode sind aktuell zum Beispiel sogenannte autofiktionale Texte. Dies bedeutet, dass ein Autor aus seinem Leben erzählt, dies aber romanhaft-verfremdet in einer Mischung aus Erlebtem und Erfindung.

Hier also die Geschichte von Adam Andrusier (Jahrgang 1974), Autor und Autografenhändler aus London: Adams Vater treibt seine Familie bald in den Wahnsinn. Zum einen mit seinen Fremdschäm-Witzen (Kostprobe: Welche Frau weiß immer, wo ihr Mann steckt? Antwort: die Witwe); zum anderen mit seiner Leidenschaft, die Gesichter seiner Kinder und seiner Frau aus Privat-Schnappschüssen auszuschneiden, hiermit Fotos von Prominenten zu überkleben und aus diesen Montagen neue Objekte zu schaffen.

So findet sich plötzlich ein grinsender John F. Kennedy neben der Mutter im Park.

Ein weiteres Hobby des Vaters ist seine fanatische Suche nach Bildern zerstörter Synagogen, die der eigentlich nicht übermäßig gläubige

Jude sammelt und als vermeintliche „Zeitdokumente“ archiviert. Auf seinen Streifzügen über Flohmärkte nimmt er seinen Sohn mit – und dieser entdeckt den Reiz von Autogrammkarten.

Auf Tour lernt er professionelle Autogramm-Händler kennen

Es beginnt eine lebenslange Sammelleidenschaft, die sich zum Beruf entwickeln wird. Sendet Adam zuerst kindlich-naive Briefe an Schauspieler nahe gelegener Theater, weitet er sein Suchgebiet aus und beginnt Hollywood-Stars und anderen Größen zu schreiben und diese mit herzerweichenden (erfundenen) Geschichten um Autogramme zu bitten.

Mal ist dies von Erfolg gekrönt und der Postbote bringt Post von Frank Sinatra oder einem verurteilten Massenmörder, mal nicht. Auf den Touren im Schlepptau seines Vaters lernt er professionelle Autogramm-Händler kennen und saugt deren Tricks und Kenntnisse auf. Nach verschiedenen Jobs beginnt Adam ein Musikstudium, aber seine angestrebte Pianisten-Karriere verläuft nicht eben erfolgreich. Also verfolgt er den Ausbau seiner Autogramm-Sammlung weiter und entwickelt sich zum renommierten Händler. Er erlangt in der Szene einen guten Ruf und hat Stammkunden, die ihn regelmäßig mit Suchanfragen beauftragen, wie der Mann aus Texas, der ihn stets nach erfolglosen Präsidentschaftskandidaten ersucht. Dieses Romandebüt beschreibt komisch wie anrührend einen (nicht ganz) alltäglichen Familienirrsinn und den schmerzhaften, oft lebenslangen Versuch, sich von den eigenen Eltern abzunabeln, den Wunsch nach innerer Freiheit.

Andrusier, Adam: „Tausche zwei Hitler gegen eine Marilyn“ (Unionsverlag, 2023) 309 S.

(RP)