Gedenken in Mettmann Die Stolpersteine der Familie Simson sind zurück

Mettmann · Gerade in Zeiten wie diesen braucht es das Innehalten. Das Gedenken. Die Erinnerung an das, was Fremdenhass und Antisemitismus anrichten können. Am Montag, dem 80. offiziellen Gedenktag, gab es mehrfach die Gelegenheit dazu.

Die Stolpersteine der Familie Simson waren 2014 wegen Bauarbeiten entfernt worden.

Foto: Köhlen, Stephan (teph)

Trauer und Wehmut schwingen in den Trompetentönen. Christiane Niesel schafft es mit ihrem Instrument, unterstützt von Gitarre, Geige und dem Chor „Lebenslaute“, die gut 100 Zuhörenden auf der Goethestraße zu ergreifen. „Ich hatte einen Kloß im Hals“, wird ein Jugendlicher später sagen. Und ein Mädchen schüttelt den Kopf: „Krass, was damals passiert ist.“ Die Mädchen und Jungen der Katholischen Grundschule schauen ein wenig verloren auf die weißen Gerbera-Blüten, die sie zum Gedenken halten. Gerade eben scherzten sie noch taff, nun senken sie den Blick. Etwas dahinter stehen Realschüler und Gesamtschüler, stumm und gedankenverloren. „So viele hatten wir aus diesem Anlass noch nie zusammen“, erinnert sich ein älterer Herr. Vor allem so viele junge Menschen. Alle Anwesenden nehmen das als ein gutes Zeichen.

Am 80. Tag des Gedenkens an die Opfer des Nationalsozialismus knieten am Montag zwei Mitarbeiter des Baubetriebshofs Mettmann, Daniel Küpper und Pietro Pizatti, auf dem Bürgersteig der Goethestraße, vis-a-vis des Kreisverwaltungsneubaus. Sie brachten vier im Jahr 2014 im Zuge von Bauarbeiten entnommenen Stolpersteine zurück und setzten einen neuen, fünften Gedenkstein hinzu in die dafür vorbereitete Lücke. Die fünf Stolpersteine erinnern an die Familie Simson, der neue Stein gilt Mutter Henriette Simson.

Kreisarchivar Joachim Schulz-Hönerlage (l.) und Landrat Thomas Hendele gedachten am Mahnmal im Neandertal.

Foto: Kreis Mettmann

Mettmanns ehemalige Stadtarchivarin Marie-Luise Carl hat zur Familiengeschichte der Simsons in Mettmann geforscht. Seit 1790 lebten die ursprünglich in Bochum geboren Vorfahren in Mettmann. Sie lebten in einem kleinen Haus, das „Gut Pfingstgarten“ genannt wurde. Die Familienmitglieder waren Metzger und Viehhändler. Marie-Luise Carl verlässt ihr Manuskript, um Vergangenheit für die Grundschüler in der ersten Reihe lebendig zu schildern. „Wenn die Kinder beim Viehtrieb halfen, gab es zur Belohnung immer ein Glas Milch für sie. Vom Bahnhof Mettmann Stadtwald wurden die Schlachtkühe bis zum Gut nahe der heutigen Goethestraße getrieben. Dabei haben die Kinder geholfen.“

Die Simsons waren fest in der Mettmanner Stadtgesellschaft verankert – bei den Schützen, bei der Freiwilligen Feuerwehr. Die Männer zogen für Kaiser und Vaterland in die Kriege 1870/71 und in den ersten Weltkrieg 1914 bis 1918. Ein Schwarz-Weiß-Foto aus der ersten Hälfte der 1910er Jahre zeigt Hugo Simson und seine Frau Henriette mit den zwei Töchtern und zwei Söhnen und Opa Jakob; alle sind sie fein herausgeputzt. Familienglück.

Daniel Küpper (l.) und Pietro Pizzati von Baubetriebshof verlegten die Stolpersteine.

Foto: Dirk Neubauer

In Auschwitz-Birkenau verlieren sich die Spuren der Familie

Zehn Jahre später war davon nichts mehr übrig. 1922 starb Hugo, ein Jahr später sein Vater Jakob. Die Geschwister Simson wechselten nach Berlin, die Mutter zog nach. Dort gerieten sie in die Nazi-Maschinerie aus Antisemitismus und Fremdenhass. 1938 mussten sie ihre Wohnungen verlassen und in sogenannte Judenhäuser umziehen. 1943 wurden sie nach Auschwitz transportiert. Dort verlieren sich ihre Spuren. „In Auschwitz-Birkenau wurden 1,1 bis 1,5 Millionen Menschen umgebracht. Das sind so viel, wie in zehn bis zwanzig Fußballstadien passen“, sagt Marie-Luise Carl.

Zuvor hatte Bürgermeisterin Sandra Pietschmann von stürmischen Zeiten gesprochen, in denen Fremdenhass und Antisemitismus wieder auf dem Vormarsch sind. Vor allem eine Partei wolle mittels Sprache die Erinnerung verhindern. Dass man Fakten dagegen parat hat, sei wichtig: „Doch Wissen allein reicht nicht, Erinnern ist Emotion.“ Deshalb dürften Hass und Gewalt in der Gegenwart keinen Platz haben. Auch Pietschmann würdigte, dass so viele junge Menschen an der Feierstunde teilnahmen.

Die Bürgermeisterin dankte namentlich allen, die sich wie die Omas gegen rechts um die mittlerweile 23 Stolpersteine in Mettmann kümmern, oder das Aktionsbündnis für Toleranz und Vielfalt, das klare Kante zeigt, gegen Neurechte und ebenfalls die Erinnerung an eine Zeit wachhält, von der alle dachten, dass sie niemals wiederkommt, weil Menschen klüger werden können. Ausgrenzung und Migrantenhassen in diesen Tagen sprechen eine andere Sprache.

(hup)