Armutsbericht: Trotz Arbeit sind sie arm
Die Zahl der „Aufstocker“ stieg auf 6000. Sie verdienen, können aber ohne Finanzhilfe nicht überleben.
Mönchengladbach. Trotz Arbeit arm. Das gibt es immer häufiger. Fast 6000Gladbacher - Tendenz steigend - sind mittlerweile auf Überweisungen aus den öffentlichen Kassen der Arbeitsgemeinschaft für Arbeit (Arge) angewiesen, weil die verdiente Kohle bis zum Monatsende nicht reicht. Bei der Arge nennt man sie "Aufstocker". Leute, die ihr Existenzminimum über eigenes und "fremdes" Geld absichern. So wie die Familie L..
Er, Lagerarbeiter, ist verheiratet. Beide haben zwei Kinder unter 14 Jahren. Da er nicht regelmäßig Überstunden machen kann, bekommt er monatlich 1200 netto. "Ich kann meinen Kindern oft nicht in die Augen schauen, weil ich so oft nein sagen muss, wenn es um ihre verständlichen Wünsche geht", sagt der Mann verbittet. Zur Grundsicherung kriegt er von der Arge 482 Euro pro Monat dazu (siehe Kasten). "Und auch das reicht selten."
Der nun von Bundesarbeitsminister Olaf Scholz (SPD) offiziell vorgelegte "Armutsbericht" bringt für Jürgen Bahr (58) nicht viel Neues. Täglich hat der Sozialberater im Gladbacher Arbeitslosenzentrum mit Menschen zu tun, die um das nackte Überleben kämpfen müssen. "Was denkt man wohl, wenn man einer alleinerziehenden Mutter gegenübersitzt, die als Hartz IV-Empfängerin 2,63Euro zur täglichen Ernährung ihres Kindes hat?" Bahr ist nicht selten so verzweifelt wie seine vielen Klienten.
Dass die Zahl der "Aufstocker" von Januar bis Dezember 2007 um 25 Prozent gestiegen ist, hat für ihn einen einfachen Grund: "Die konjunkturelle Belebung hat vornehmlich Niedriglohn- und Zeitjobs geschaffen." Und das bringt neue "Aufstocker". Oder bei Betroffenen Resignation und die Erkenntnis: "Arbeiten lohnt da nicht mehr."
Bundesweit, so hat es das Inkasso-Unternehmen Creditreform errechnet, liegt Gladbach mit einer Schuldnerquote von 16,43 Prozent bundesweit ganz oben.
Gut 37000 der rund 265000 Gladbacher leben von Hartz IV, dem Mix aus Arbeitslosengeld II und Sozialhilfe.
Am 27. Mai wird sich der städtische Jugendhilfeausschuss mit dem "Familienbericht Mönchengladbach" beschäftigen. Dafür hat der zuständige Sozialdezernent Michael Schmitz (CDU) lange gebraucht. Leute wie Bahr befürchten, dass sich die Politik mit dem Thema zwar intensiv beschäftigen wird, doch dann wieder schnell zur Tagesordnung übergehe. Nicht überraschend sind Aussagen im Schmitz-Papier, wonach die "Armut" in Waldhausen stärker verbreitet ist als in Windberg. Gestiegen sei in der Stadt der Anteil "unterdurchschnittlicher Einkommen".
Tag für Tag werden auch der Gladbacher Tafel die vielen Gesichter der Armut vor Augen geführt. "Die Bedürftigkeit in unserer Stadt nimmt stetig zu", weiß Jürgen Kirchner. Er gehört zu den Dauer-Engagierten jener gefragten Tafel, deren Vorsitzende die Ex-Oberbürgermeisterin Monika Bartsch ist.
Sie berichtet, dass die hauptsächlich gespendete Lebensmittel verteilende Tafel allein 2007 über 60000 Lebensmittelrationen ans anstehende Publikum ausgab. Das muss seine Bedürftigkeit nachweisen. An einem Laden-Tag werden mehr als 500 Personen versorgt - darunter sind viele Kinder.