Wohnprojekt Trotz Behinderung eigenständig mit ambulanter Betreuung leben

Osterath · Am Schweinheimer Kirchweg wohnen seit März zehn Menschen mit Behinderung in einem Neubau.

Mathias Kich, Alexander Jung und Stefan van Vorst (von links) freuen sich über das grüne Hochbeet im Garten. Hier haben sie Kräuter und Kohlrabi angepflanzt.

Foto: male

Florian Krötz öffnet schnell nach dem ersten Klingeln, denn er erwartet in diesem Moment die Hausbewohner Am Schweinheimer Kirchweg 1 zurück von der Arbeit. In dem Neubau in Osterath leben seit März in zehn Wohnungen Menschen mit Behinderung, die tagsüber in Werkstätten tätig sind, morgens abgeholt und nachmittags wieder in ihr Haus gebracht werden.

Neben der 25 Jahre alten Laura Lachmann haben neun Männer die rund 54 Quadratmeter großen Zweizimmerwohnungen angemietet. Doch die zehn Bewohner mit geistiger Behinderung sind nicht alleine. Heilerziehungspfleger Florian Krötz (25) ist Teamleiter bei der evangelischen Einrichtung Hephata, die die Betreuung der Mieter übernommen hat. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen ist er rund um die Uhr für die Bewohner da. Denn neben den zehn Wohnungen, die auch über Bad und Küche verfügen, gibt es noch eine Wohnung für die sich abwechselnden Mitarbeiter und eine gemeinschaftliche Wohnung im Erdgeschoss mit großem Esstisch, Zugang zum Garten und Wohnzimmer.

Das Leben ist vergleichbar mit dem einer Wohngemeinschaft

„Wir treffen uns hier jeden Abend zum Essen und an den Wochenenden wird gemeinschaftlich gekocht und gegessen“, sagt Krötz. Das Leben der Bewohner und der Hephata-Mitarbeiter ist vergleichbar dem einer Wohngemeinschaft. Gemeinschaftlich wird entschieden, was gegessen wird und gemeinsam gehen Laura Lachmann und die anderen Bewohner mit den Betreuern einkaufen. „Wir sind immer ansprechbar, ob in der Wohnung oder im Garten, haben aber auch unsere festen Termine mit den Bewohnern, bei denen der Tag reflektiert wird oder Konflikte gelöst werden können“, sagt Florian Krötz.

„Seitdem wir einen Reinigungsdienst im Haus engagiert haben, läuft alles reibungslos“, sagen Thomas und Ariane Jung, deren Sohn Alexander Mieter am Schweinheimer Kirchweg ist. Alexander Jung wurde vor 32 Jahren mit einer geistigen Behinderung geboren und die Eltern hatten immer den Gedanken: „Was wird aus unserem Sohn, wenn wir nicht mehr da sind?“ Doch bei den Gedanken blieb es bei Kommunalpolitiker Jung und seiner Frau nicht. Schon früh suchten sie Kontakt zu anderen Eltern mit behinderten Kindern, knüpften in Schule und in der Freizeit Kontakte.

Im Herbst 2012 wurde die Familie erstmals mit der Systematik Wohnprojekt eines Behindertenwohnheims konfrontiert. Unter der Trägerschaft von Hephata wurde am Kamperweg, in unmittelbarer Nachbarschaft zu den Jungs, ein Wohnheim geplant. Als engagierter Politiker nahm der Inhaber einer Firma für Sanitär-Heizung-Klima Kontakt zum Technischen Beigeordneter der Stadt Meerbusch auf. Thomas Jung schrieb 2013 auch Hans-Willi Pastors von der Stabsstelle Regionalisierung der Evangelischen Stiftung Hephata an. Von ihm erhielten sie Adressen von Architekten, die mit der Planung und Realisierung solcher Objekte vertraut sind, bekamen Objektadressen und Tipps für das weitere Vorgehen.

In der Folgezeit wurden die Jungs Anlaufstelle für viele Eltern, die ebenfalls für ihr Kind eine Wohneinrichtung suchten. In den nächsten zwölf Monaten gab es nur Absagen für mögliche Einzelbauplätze. Der Rest ist Geschichte, die mit vielen Rückschlägen und Verzögerungen bestückt ist. Aber 2014 lernte Jung den Viersener Bauunternehmer und Investor Rüdiger Schmitz kennen. „Er ist sozial sehr engagiert und war bereit, mit uns ein Wohnhaus für Menschen mit Behinderung zu realisieren“, erinnert sich Jung.

Das Grundstück wurde in Osterath neben dem Kindergarten gefunden und realisiert. Durch Corona musste die Eröffnung immer wieder bis in den März 2022 verschoben werden. „Unser Sohn stand schon Ende Februar mit seinen Koffern vor seiner Wohnung und hat zur Probe übernachtet“, sagt Ariane Jung. Die Bewohner, Eltern und Betreuer haben sich in den letzten Monaten arrangiert. Im Garten wurde ein Hochbeet angelegt, der Hausflur soll bald mit selbstgemalten Bildern dekoriert werden, die Wohnungen sind alle individuell eingerichtet worden und im Waschkeller läuft die Waschmaschine. „Die Garderobe unseres Sohnes hat jetzt die Einheitsfarbe grau“, sagt Mutter Jung lachend. Aber auch das gehöre zur Selbstständigkeit von Alexander Jung dazu, genauso wie seine Reitstunden im nahe gelegenen Reitstall, seine Ferienfreizeit auf dem Ijsselmeer und seine Arbeit. „Ich habe ein gutes Gefühl, dass er sich wohlfühlt“, sagt Ariane Jung und genießt die neue Zweisamkeit mit ihrem Mann. Der Sohn komme ganz selten noch zu Besuch. Sein Zuhause sei jetzt der Schweinheimer Kirchweg.

„Natürlich haben wir auch einen Verein gegründet, damit wir Spenden ordnungsgemäß annehmen könne“, sagt Thomas Jung: Förderverein zur Unterstützung von gemeinsamem Wohnen von Menschen mit Behinderung in ambulant betreuten Wohngemeinschaften, Wohnprojekt Osterath e.V. Thomas Jung hat auch den Vereinsvorsitz übernommen.