Ein Kampf ums Überleben
Sozialarbeit: „Streetlife“ hilft obdachlosen Jugendlichen auf ihrem langjährigen Weg zu Wohnung, Beruf und geregeltem Alltag.
Neuss. Zögernd beginnt Stefan seine Geschichte vom Leben auf der Straße. Die drei Jahre, in denen er bestenfalls Obdach bei Bekannten, aber auch in alten Fabriken oder im Winter über wärmenden Lüftungsschächten fand, haben beim heute 22-jährigen Neusser Spuren hinterlassen.
"Es war eine stürmische Nacht im Winter und ich lag im Zelt. Ich konnte nicht einschlafen, weil mir so kalt war." Die Diebe, die sein Fahrrad stahlen, bemerkte Stefan zu spät.
"Ich dachte nur: Das war alles, was ich hatte, bis auf die Kleidung und das Zelt, das ich geschenkt bekommen hatte. Da wusste ich: Entweder ich komme bald von der Straße weg oder gehe ganz kaputt."
Die Zahl der obdachlosen Jugendlichen in Neuss lasse sich nur schwer beziffern, meint der "Streetlife"-Sozialarbeiter Jochen Bauer, der seit zwei Jahren bei der Trägergemeinschaft des Diakonischen Werks und dem SkF arbeitet.
"Am Anfang ist das Leben auf der Straße für viele noch ein Abenteuer. Doch wer einmal obdachlos ist, kommt nur schwer wieder nach oben. Irgendwann ist es nur noch ein Kampf ums Überleben." Familiäre Probleme, psychisch erkrankte Eltern oder Sucht seien häufig die Auslöser für ein Leben auf der Straße.
"Geld ist dabei natürlich ein großes Problem", weiß Bauer. Besonders nach dem Erreichen des 18. Lebensjahrs, denn dann fällt die staatliche Unterstützung weg. "Viele schnorren sich durch, einige werden aber auch kriminell."
Den Hunger obdachloser Jugendlicher stillen nur wenige: Die Tafel und eine Neusser Bäckerei, die abends immer große Körbe nicht verkaufter Waren vor die Tür stellt. Wer es wirklich von der Straße schaffen will, hat strenge Auflagen zu erfüllen: "Eine Wohnung bekommen die Jugendlichen nur, wenn sie wieder in die Schule gehen oder Praktika machen", erklärt der Streetworker. Oft dauere es Jahre bis zum Erfolg.
Im Fall eines jungen Mannes versagte der hoffnungsvolle Zukunftsplan: "Er hatte solche Schulangst, dass er den Anforderungen nicht nachkommen konnte." Für Stefan ging es erst bergauf, als er einen Platz in der "Streetlife-WG" bekam.
Drei junge Männer im Alter von 18 bis 23 Jahren können an der Düsseldorfer Straße die Obdachlosigkeit gegen ein Zimmer tauschen. "Auch hier gelten Regeln. Die stellen die Bewohner aber selbst auf und ich staune immer wieder, weil sie viel konsequenter eingehalten werden, als wenn sie von einem Außenstehenden gemacht werden", sagt Bauer.
Auch Stefan kam dort erstmals zur Ruhe und freute sich seit langem Zukunftspläne zu schmieden. Heute macht der 22-Jährige seinen Hauptschulabschluss nach und hat sogar eine eigene Wohnung. "Es ist ein tolles Gefühl endlich ein Zuhause zu haben."