Neuss: Fit für den ersten Arbeitsmarkt
Ein neues Projekt gibt Jugendlichen mit Behinderung Perspektiven nach der Schulzeit.
Neuss. Seelenruhig hält Pia der Seniorin ein Getränk hin. Die 17-Jährige drängelt nicht, Zeitdruck kennt Pia kaum. Sie ist Praktikantin im Johannes von Gott Seniorenpflegeheim in Neuss. Und Pia hat ein Handicap. "Menschen mit einer geistigen Behinderung haben ein anderes Zeitempfinden", sagt Ursula von Schönfeld, Vorsitzende der Initiative gemeinsam leben & lernen (igll).
Diese Seelenruhe, die im Alltag schon mal zum Problem werden kann, wenn es mal schnell gehen muss, war für die Senioren im Altenheim positiv. Pia nahm sich Zeit und reichte ihnen das Essen ohne Hast.
Pia ist eine von sieben Schülern mit einer Behinderung, die in den Einrichtungen der St. Augustinus-Kliniken ein dreiwöchiges Praktikum absolvierten. Initiiert wurde das Projekt von igll. 1996 hat der Verein es sich zur Aufgabe gemacht, Jungen und Mädchen mit Handicap in die Gesellschaft zu integrieren.
Vor zehn Jahren wurden die ersten Kinder in die Realschule Süd integrativ eingeschult. Sie stehen nun kurz vor dem Abschluss. Doch die Frage ist: Was kommt danach? "Nach der 10. Klasse endet meist die Integration", sagt Ursula von Schönfeld. "Aber wir wollten auch nach der Schulzeit Alternativen und Perspektiven schaffen."
Den Schülern soll durch die Praktika der Übergang in das Berufsleben geebnet werden. Sie sollen eine Chance für den ersten Arbeitsmarkt haben. Neue Berufsperspektiven für Menschen mit Behinderungen, die über die Arbeit in Behindertenwerkstätten hinausgehen, sollen geschaffen werden. Doch, und das ist von Schönfeld wichtig, es soll keine Konkurrenz zu den Behindertenwerkstätten geschaffen werden. "Es soll eine Alternative, eine zusätzliche Möglichkeit sein."
Die St. Augustinus-Kliniken waren von der Idee überzeugt. "Wir haben uns die Frage gestellt, warum Menschen mit Behinderungen nicht auch unsere Kollegen sind", sagt Wilfried Gaul, Geschäftsbereichsleiter der St. Augustinus Behindertenhilfe.
Charly Bertelmann, Einrichtungsleiter Arbeit und Integration, suchte nach möglichen Einsatzorten in den St. Augustinus-Kliniken. Die fand er auch: in der Wäscherei, beim Technik- und Gebäudemanagement und im Altenheim. Die Jugendlichen schrieben Bewerbungen und schließlich konnten sie wie Pia ihr Praktikum in den Kliniken beginnen.
"Die Zusammenarbeit mit der Schule war sehr eng", lobt von Schönfeld. "Die Schüler wurden von zwei Zivildienstleistenden betreut." Auch die beiden Lehrerinnen der Realschule Süd, Johanne Kratz und Michaela Braun, waren täglich vor Ort, um die Schüler zu begleiten.
Am Ende der drei Wochen waren sowohl die Arbeitgeber als auch die Initiatoren zufrieden. Und das Projekt soll weitergehen. Dabei sind die Möglichkeiten noch lange nicht ausgeschöpft. "Das war ein erster Impuls. Wir haben gute Erfahrungen gesammelt. Jetzt suchen wir nach Finanzierungsmöglichkeiten", sagt von Schönfeld. "Wir haben erst einmal was Neues für die Integration nach der Schulzeit losgetreten."