Vogelschuss mit Armbrust

Vor 60Jahren wurde erstmals wieder gefeiert - mit Einschränkungen.

Neuss. Über die ersten zarten Versuche des Neubeginns gibt es kaum Aufzeichnungen. Neuss lag in Trümmern, und nach ersten Treffen im Dom zogen erstmals nach dem Krieg wieder Schützen durch die Stadt: ohne Musik. Vereine waren noch verboten. Erstes Schützenfest im - fast - ursprünglichen Sinn wurde vor 60 Jahren gefeiert.

Die Kriegsvorboten hatten bereits das Schützenfest 1939 überschattet. Die Menschen feierten ausgelassen, einen "riesigen Zulauf" registrierten die Verantwortlichen beim Fackelzug. Doch während der Parade kamen schon die ersten Gestellungsbefehle an, und die Reiterkorps waren wegen der Einberufungen bereits reduziert.

Den mit Gaskandelabern festlich beleuchteten Markt sollten die Neusser zum letzten Mal erleben. Das Plakat dieses Jahres nahm ein Soldat mit an die Westfront. Dort hing es in einer Kantine, und alle Neusser, die der Krieg dorthin verschlug, unterschrieben: Dieses ungewöhnliche Zeitdokument ist wieder nach Neuss zurückgekehrt und bis heute erhalten.

Vor 60 Jahren, als die Not noch längst nicht überwunden war, als noch um die 3000 Toten des Krieges getrauert wurde und die Stadt von Trümmern geprägt war, begann das erste wirkliche Schützenfest. Vieles war von den britischen Besatzern noch verboten oder viel der Not geschuldet aus. Niemand erschien hoch zu Ross, Waffen waren nicht erlaubt, und es wurde auch nicht marschiert, sondern promeniert.

"Zum Feiern fehlte vieles", schreibt Joseph Lange in seinen Erinnerungen "Bürger und Bürgersöhne". Doch am Samstag spielten die Tambourkorps zum ersten Mal wieder das "Freut euch des Lebens", und - ebenfalls am Samstag - wurde der neue König ausgeschossen: mit der Armbrust war Grenadier Willy Klöcker erfolgreich. Und es gab am Abend auch einen Fackelzug mit zehn Großfackeln, wobei es vor allem um Themen wie Fleischversorgung, Schweinediebstahl und Schnapsbrennerei ging.

Am Sonntag zogen wohl 600 Schützen durch die Innenstadt. Die Neusser feierten in diesem August vor 60 Jahren in Krülls Autohalle an der Sternstraße und auf dem Kirmesplatz, und sie feierten offensichtlich, trotz Lebensmittelrationierung, feucht-fröhlich. Die Rede ist von 100000 Flaschen Wein, die nach Neuss geschafft worden sein sollen.

Wein vor Trümmern, Parade "ohne Päd": Für Beobachter Josef Lange war dieses Schützenfest vor 60 Jahren "nur ein schwacher Abglanz verflossener Herrlichkeit, und doch, es war wieder schön."