Europa-Premiere in Barmen: Brötzmann lässt es krachen
Wenn Peter Brötzmann Jazz spielt, kennt er keine Grenzen. Der Wuppertaler stellt sein neues, internationales Quartett vor.
Wuppertal. Wenn Peter Brötzmann zum Musizieren kommt, dann werden Ohrenstöpsel verteilt. Das Wuppertaler Freejazz-Urgestein gab sich die Ehre im Live Club Barmen (LCB) - und der ausliegende Ohrenschutz war wirklich angebracht. Denn zusammen mit seinem neuen, formidablen Quartett lässt es der 67-jährige schnauzbärtige Saxophonist immer noch krachen, dass einem die Ohren sausen.
Für Brötzmann neues, international besetztes Quartett war der Auftritt im LCB Barmen die Europa-Premiere. Erfreulich viele Fans lockte das Gastspiel an. Dass Jazz - und vor allem Freejazz - grenzenlos ist, zeigt die Zusammensetzung des Quartetts: Power-Schlagzeuger Paal Nilssen-Love kommt aus Norwegen, Bassist Massimo Pupillo aus Italien.
Die beiden kennen sich spätestens, seit sie sich im vergangenen Jahr beim Moers-Festival mit ihren Bands The Thing und ZU eine musikalische Schlacht lieferten. Der japanische Trompeter Toshinori Kondo ist seit langen Jahren ein Weggefährte Brötzmanns, gehörte Anfang der 90er-Jahre zu seinem Quartett Die like a dog und später auch zum berühmten Chicago Tentett.
Im LCB entfesseln die vier Musiker wahre Klanggewitter. Nilssen-Love ist ein Berserker am Drum-Set, sein Spiel pendelt zwischen treibenden Beats und hektischem, völlig freiem Spiel auf zischelnden Becken und wummernden Trommeln. Pupillo lässt den Bass dröhnen und pulsieren, trotzdem sind seine wiederkehrenden, kreisenden Linien oft von großer Ruhe. Kondo sorgt für reißende, fiepende Klänge, indem er seine Trompete elektronisch verzerrt, rauschen und an der Schmerzgrenze jaulen lässt.
Über all das Chaos schließlich setzt Brötzmann sein kreischendes, schlingerndes Saxophon, das die rasende Krach-Maschine des Quartetts in immer neue Höhen peitscht. Und doch - es gibt nicht nur diese Wildheit, gegen die jede noch so böse Heavy-Metal-Band wie ein braves Salonorchester klingen muss.
Einmal ergibt sich zwischen Kondo und Brötzmann ein zartes, tastendes, wunderschönes Duett, bei dem Nilssen-Love ausnahmsweise mal seine Drums schweigen lässt. Doch als wäre den alten Herren dieser Friede dann doch etwas unheimlich, lassen sie die innige Annäherung bald wieder in ekstatischem Krach explodieren, der beim Hörer so schön den Pulsschlag erhöht und in den besten Momenten zu Schweißausbrüchen führt.
Dieses Quartett sollte sich Brötzmann warm halten. hier wüten alle auf demselben Niveau. Das funktioniert übrigens nur deshalb, weil die Musiker eines verstanden haben: Freie Improvisation braucht ganz besonders viel Kontrolle - und offene Ohren. Die vier Krachmacher reagieren in Sekundenbruchteilen aufeinander, spielen sich Motive und Strukturen zu. Hat man sich einmal in die tosende Klangwand hineingehört, entdeckt man feine, hochmusikalische Beziehungen:
Rhythmische Muster, die aufeinander antworten. Dialoge zwischen Trompete und Saxophon, die vom Lärm um sie herum fast verdeckt werden. Sie entstehen aus dem Moment heraus, können aber genauso abrupt auch wieder abreißen. Dann verharrt Nilssen-Love, schweißgebadet, mit schlagbereit erhobenen Trommelstücken - und einem kindlichen Staunen auf dem Gesicht. Gerade ist unverhofft eine dröhnende Stille eingetreten. Und der Auftritt ist zu Ende. Einfach so.