Interview mit Ingeborg Wolff - Wuppertals Mutter Courage
Ingeborg Wolff, Star an den Wuppertaler Bühnen, verabschiedet sich aus dem Rampenlicht.
Frau Wolff, freuen Sie sich auf den 28. September - oder überwiegt die Wehmut?
IngeborgWolff: Ich kann noch gar nicht sagen, wie ich mich bei der letzten Vorstellung fühlen werde. Aus einem festen Ensemble zu gehen, ist so ähnlich, als ob man von zu Hause weggeht. Man steht plötzlich auf neuen Füßen, es öffnen sich neue Türen und Wege. Zu Hause bin ich gerade dabei, alle zu durchforsten und mich von vielen alten Texten zu trennen. Es ist viel im Umbruch - ein tolles Gefühl.
Wolff: So ist es. Im Moment fühle ich eine ganz neue Freiheit. Nach mehr als 40 Jahren hat man einen Theater-Tunnelblick. Ich entdecke jetzt das restliche Leben.
Wolff: Es ist ungewohnt entspannt. Als Schauspieler arbeitet man dauerhaft zu unregelmäßigen Zeiten, ist immer abrufbar, falls ein Kollege krank wird. Man muss jeden Tag bis 14 Uhr erreichbar sein, und wenn man die Stadt verlässt, muss man sich abmelden. Das prägt natürlich. Ich war oft verunsichert - sogar in der Sauna. Da habe ich dann den Bademantel genommen und zwischendurch im Theater angerufen, um zu fragen, ob ich abends nicht doch noch spielen muss. Jetzt habe ich mir eine Bahncard gekauft und kann wegfahren. Ist das nicht herrlich?
Wolff: Ich war erleichtert. Ich finde, unsere Fassung ist sehr stimmig. Man kennt die Bilder mit dem Planwagen alle so. Zu seiner Zeit ist das bestimmt richtig gewesen. Heute würde ich mir mit Planwagen niedlich und komisch vorkommen.
Wolff: Jede Mutter zerreißt sich für ihr Kind. Ich versuche, kleine Momente zu finden, in denen man merkt, dass auch Mutter Courage - trotz ihrer Härte - ihre Kinder liebt. Auch meine Tochter hatte immer Priorität. Ich habe oft bis 18.30 Uhr an ihrem Bett gesessen und ihr eine Geschichte vorgelesen, obwohl ich längst in der Maske hätte sitzen müssen. Das war nicht immer einfach, aber hat mich erfüllt. Später war es eine große Freude, als sie mit ins Theater kam. Sie war stolz auf mich, hat mich aber auch immer heftig kritisiert. Kinder sind ja schonungslos ehrlich.
Wolff: Und wie! Das wird sogar immer schlimmer. Ich glaube, mit zunehmendem Alter kann man da schlechter mit umgehen. Andererseits: Wenn ich einmal ins Spiel gekommen bin, weiß ich gar nicht mehr, wieso ich mich den ganzen Tag über so aufgeregt habe.
Wolff: Ja, ich wollte schon als kleines Mädchen Schauspielerin werden. Ich bin in einem Beamtenhaushalt in Düsseldorf aufgewachsen. Ich hatte eine schöne Kindheit, war viel draußen - im Obstgarten, bei Hühnern und Enten. Musiziert oder vorgelesen wurde bei uns allerdings nicht. Ich habe mir dann meine eigene Welt geschaffen, habe mich verkleidet, auf dem Dachboden Theater gespielt und Geschichten geschrieben. Dafür wurde ich von der Familie belächelt.
Wolff: Als ich 1979 von Wiesbaden nach Wuppertal kam, fing gerade meine Krisenzeit an. Da habe ich mich gefragt: Was gibt es noch außer dem Stadttheater? Ich habe gemerkt, dass ich in Wuppertal weitergemacht habe, wo ich in Wiesbaden aufgehört hatte. Ich wurde toll besetzt, mir fiel vieles in den Schoß, vieles war auch Routine. Ich fühlte mich aber in Wuppertal damals schon sehr wohl - auch, weil ich meinen späteren Mann kennen gelernt hatte. Ich habe mich hier zu Hause gefühlt, aber gemerkt, dass es noch zu früh war und ich erst einen Umweg gehen musste.
Wolff: Ja, ich habe in den 80ern Dinge getan, die damals unüblich waren. Aus dem Stadttheater rein in die freie Szene - das waren früher zwei Welten. Ich habe das aber damals schon fließend gehalten und empfand das immer als gegenseitig befruchtend. Als mich Holk Freytag später zurück nach Wuppertal holte, war das toll. Wuppertal war eine spannende Adresse. Ich war begeistert von dem Geist, der in diesem Haus herrschte, und von der Kraft, die das Ensemble ausstrahlte. So konnte ich mir Stadttheater wieder vorstellen.
Wolff: Jetzt muss etwas Neues von unten kommen. Das ist auch richtig so.
Wolff: Wir haben schon darüber gesprochen, es ist aber noch nichts konkret. Ich möchte jetzt erst einmal einen Schnitt machen und die neue Freiheit genießen.
Wolff: Zum Beispiel an die Dario-Fo-Stücke, den schrägen Humor und die beißende Gesellschaftskritik. Ich habe schon immer die Rollen besonders geliebt, die die Lust am Theater mit einem gesellschaftspolitischen Anspruch verbinden. Schon allein für "Die Ermittlung" von Peter Weiss hat es sich gelohnt, nach Wuppertal gekommen zu sein. Als einer von wenigen hat Holk Freytag das Stück um die Auschwitz-Prozess auf den Spielplan gesetzt. Uns war schon drei Tage vorher übel, aber wir wussten: Wir müssen das spielen, wir müssen das Grauen auf die Bühne bringen.
Wolff: Ja, Brecht hat mich immer begleitet. Die Mutter Courage ist eine wunderbare Rolle mit vielen Facetten, da kann man seine ganze Theater- und Lebenserfahrung einbringen. Und es ist großartig, dass ich noch einmal fast das ganze Ensemble um mich habe. Das gibt mir eine unglaubliche Kraft.