Publikumsbeschimpfung: Was erwarten die Zuschauer?

Im Schauspielhaus ist zum ersten Mal ein Stück von Peter Handke zu sehen.

Wuppertal. Für glückliche Väter bekommt Zeit eine ganz neue Bedeutung. Thorsten Pitoll zählt neuerdings rückwärts - im Wochen-Rhythmus. Der Grund heißt Sarah, ist vier Wochen jung und hält nicht nur den Regisseur, sondern vor allem auch eine Schauspielerin auf Trab: Maresa Lühle, Ensemblemitglied der Wuppertaler Bühnen, hat eine neue (Mutter-)Rolle übernommen und Pitoll zum stolzen Papa einer Tochter gemacht.

So lange die kleine Dame zu Hause den Schlaf- und Wickelrhythmus vorgibt, hat der Regisseur "nur" an den Wuppertaler Bühnen das Sagen. Dort allerdings wird nicht rück-, sondern vorwärts gezählt, denn in einer Woche hat Pitolls neue Produktion Premiere. Die Zeit dafür ist (über-)reif, denn noch nie zuvor war ein Stück von Peter Handke im Schauspielhaus zu sehen.

Nicht nur deshalb ist Pitoll gespannt darauf, wie seine Gäste auf die "Publikumsbeschimpfung" reagieren. Darum geht es schließlich: Was erwarten Zuschauer vom Theater? Keine Beschimpfung, so viel dürfte sicher sein.

"Der Titel ist irreführend", gibt Pitoll zu bedenken. "Er geistert durch die Köpfe, aber viele kennen den Text nicht wirklich." Das soll sich am 5. Oktober ändern. Denn die Sätze "sind klug genug, um nicht langweilig zu sein" - obwohl es keine sichtbare Handlung, sondern "nur" Texte für vier Sprecher gibt.

Bleibt die Frage, ob die "Publikumsbeschimpfung", die zur Zeit der Studenten-Revolte als dramatische Demonstration gegen den Muff des Theaters, der Gesellschaft und der Politik aufgefasst wurde, heute noch aufwühlen kann. Als Claus Peymann das Stück 1966 uraufführte, war die Form der Publikumsansprache so neu wie skandalös.

"Damals war das Stück ein Bruch mit den Konventionen", betont der Regisseur. Doch die Zeiten haben sich geändert - nicht nur im Hause Pitoll, in dem nun Klein-Sarah das Sagen hat.

Dass Handkes frühes Bühnenwerk heute noch so provozieren kann wie vor 40 Jahren, ist zu bezweifeln. Dramaturg Wilfried Harlandt setzt dem entgegen, dass das Spiel mit der Erwartungshaltung des Publikums zeitlos sei. "Das Stück ist eine humorvolle Auseinandersetzung mit dem Theater - eine gute Analyse über den Bühnenbetrieb, die immer noch Bedeutung hat."