Tanztheater: Pina Bauschs Gefühlsrausch im Gebirge
Pina Bausch begeistert mit „Rough Cut“ im Schauspielhaus. Der Erlös der Generalprobe fließt in die Frauenberatung.
Wuppertal. Das ganze Leben ist ein Gebirge. Pina Bausch lässt keinen Zweifel daran: Es geht auf und ab mit den Gefühlen. Und so bewegt sich ihr Ensemble da, wo sich auch Nicht-Tänzer wiederfinden: mal unten, mal oben, im tiefsten Tal der Verzweiflung oder im höchsten Himmel des puren Glücks.
Dort dürften am Ende nicht nur die Zuschauer angekommen sein, die im Schauspielhaus "Rough Cut" erlebten - ein Hochgenuss für Auge und Seele.
Auch der Förderverein der Frauenberatung Wuppertal dürfte zufrieden sein - machten ihnen die Bausch-Tänzer doch ein himmlisches Geschenk: Der Reinerlös der Generalprobe, 5262 Euro, fließt wie berichtet in die Arbeit des Vereins, der Frauen nach sexueller Gewalt, bei Traumabewältigung, Trennung, Scheidung und Essstörungen betreut.
Dabei war die Generalprobe natürlich nur der Anfang. Es folgten vier ausverkaufte Heimspiele, die zeigten, weshalb das Bausch-Stück im Januar zu Recht die Berliner Tanz- und Theaterfestspiele ("Spielzeiteuropa") gekrönt hatte.
Doch egal, ob an Spree oder Wupper: Die Tänzer wollen erobern und bezwingen, erobert und bezwungen werden - wie die große Gletscherwand von Peter Pabst, die die Bühne dominiert.
Das Stück selbst, das nach einer Südkorea-Reise des Ensembles entstand und 2005 in Wuppertal uraufgeführt wurde, hat kaum konkrete Anspielungen auf Seoul. Immerhin: Es gibt koreanische Lieder und namentliche Assoziationen, zum Beispiel den Chinakohl, mit dem Rainer Behr bedeckt wird, oder die Kohlblätter, mit denen sich die Damen in den schönen Kleidern lässig Luft zufächeln.
Und natürlich ist der Gedanke an ferne Metropolen ganz nah, wenn auf den Projektionen Asiaten auf- und abfahren - die Rolltreppe wirkt wie ein modernes Gebirge im Großstadt-Dschungel. Die Gefühle fahren derweil Achterbahn: Im ersten Teil blüht die Melancholie, im zweiten regiert zunehmend Heiterkeit.
Männer spielen mit dem Gewicht eines Baumstamms, der mal leicht, dann unerträglich schwer zu sein scheint. Ruth Amarante fackelt nicht lange und brennt schwermütig eine Papierblume nach der anderen (und damit auch Erinnerungen?) ab. In einer anderen der vielen kleinen Szenen treibt das Spiel der Geschlechter seltsame Blüten: Cristiana Morganti reißt sich vor Erregung den Stoff vom Körper, während Rainer Behr beim Ausziehen lieber in asiatischer Gemütsruhe seine Kleidungsstücke faltet.
Ein wunderbares Lippenbekenntnis legen männliche Tänzer gleich am Anfang ab. Ihr Mund ist nämlich nicht nur zum Küssen da. Pfeifend ziehen sie sich gegenseitig die Flötentöne aus dem Mund, fangen sie mit gespitzten Lippen vorsichtig auf und geben sie später wieder zurück. Denn auch wenn das Leben ein Gebirge sein mag: In Tälern und auf Höhen ist man (zum Glück) nicht alleine.