Mit besten Empfehlungen

Die WZ-Redaktion präsentiert ihre Lesetipps für die Sommerferien — garantiert für jedes Wetter geeignet.

Venedig: Ufer der Verlorenen. Nobelpreisträger erzählt vom Winter in der Lagunenstadt. Wer an Venedig denkt, der träumt von Sommerabenden, an denen die letzten Sonnenstrahlen des Tages den Canale Grande in einen glitzernden, goldenen Fluss verwandeln. Oder er denkt an das Aqua alta, wenn sich Touristen und Einheimische mit Gummistiefeln gegen das Hochwasser bewaffnen. Einen Gegenentwurf zu den vielen Venedig-Büchern mit den bekannten Klischees hat Nobelpreisträger Joseph Brodsky schon 1989 mit „Ufer der Verlorenen“ gewagt. Brodsky stattete der Lagunenstadt Jahr für Jahr seine Besuche ab — im Winter. „Abends gibt es hier nicht viel zu tun“, heißt es zu Beginn des 37. Kapitels lakonisch. Das 39. Kapitel leitet er mit dem Satz ein: „Eine Träne vergießt sich hier bei mancher Gelegenheit.“ So taucht Brodsky unter die Oberfläche. Tiefgründig, melancholisch, humorvoll — mit der Qualität der großen russischen Dichter. Seine Freundin und er losen aus, wer an der eiskalten Wand schlafen muss. Sie verliert und springt ins gemeinsame Bett — „uno, duo, tre, wie in einen dunklen Fluss.“ (Andreas Boller)
Joseph Brodsky: Ufer der Verlorenen, Hanser, 93 Seiten, 13,90 Euro.

Die Meisterin des Erzählens — wiederentdeckt. Geschichten aus der Nachkriegszeit. „Es war Ende Januar, bald nach den Weihnachtsferien, als das dicke Kind zu mir kam“. So beginnt eine bekannte Erzählung, die Erinnerungen an längst vergangene Deutschstunden weckt — und die damals wie heute grandios ist. Marie Luise Kaschnitz hat sie wenige Jahre nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs geschrieben, doch das leise kleine Meisterwerk ist zeitlos spannend, eindringlich, schön und tragisch wie so viele ihrer Geschichten, die eines gemeinsam haben: Wer anfängt zu lesen, kann nicht mehr aufhören. Der großen Erzählerin (1901-1974) gelingt es in einzigartiger Weise, Atmosphäre zu schaffen und beschriebene Gefühle unmittelbar real werden zu lassen. Es ist der Rhythmus, der Eindruck wechselnder Geschwindigkeit von Worten und Sätzen, die oft ganz harmlos daherkommen und erst im Nachklang wuchtig wirken. Gestern wie heute: Marie Luise Kaschnitz lässt sich immer wieder neu entdecken. (Claudia Kasemann)
Marie Luise Kaschnitz, Eisbären: Ausgewählte Erzählungen, Insel Verlag, 7,50 Euro.

Das Flair der 30er Jahre in New York. Für Amor Towles ist alles eine „Frage der Höflichkeit“. 1966: Kate entdeckt auf einer Fotoausstellung das Porträt ihrer Jugendliebe. Das führt sie fast 30 Jahre zurück zu dem Silvesterabend 1937, als eine Begegnung das Leben dreier junger Menschen in New York für immer verändert und aneinander bindet. In einem staubigen Jazzclub lernen Kate und Eve den wohlhabenden Tinker Grey kennen. Die beiden Freundinnen sind hin und weg von seiner charmanten Art und seinem mondänen Lebensstil. Es ist ein New York der Lebensfreude und der Sorglosigkeit, der Möglichkeiten und des Aufschwungs, in denen junge Frauen wie Eve ihr Dasein fern der engen Provinz genießen und Kate sich zielstrebig nach oben arbeitet. Amor Towles versteht es, seine Protagonisten vor einer filmreifen Kulisse in Szene zu setzen. Durch pointierte Dialoge entstehen klare Charaktere, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten. Schon nach den ersten Seiten umgibt einen das Flair der 30er Jahre in New York. Das macht es verlockend, mit Kate in vergangene Zeiten einzutauchen und ihre schöne, leicht melancholische Liebesgeschichte zu erleben. (Jana Kohrsmeier)
Amor Towles: Eine Frage der Höflichkeit, Graf Verlag, 416 Seiten, 19,99 Euro.

Selbstverliebte Neurotiker in einer ziemlich schnellen Welt. Der Niedergang einer fiktiven Zeitung in Rom. Leere Schreibtische, verdreckter Teppichboden, Kaffeeflecken, Brandlöcher — mit einem traurigen Blick in einen menschenleeren Raum, in dem früher heftig um Wertungen, Formulierungen, Themen, Präzision und gegen die Zeit gefochten wurde, endet der Roman „Die Unperfekten“. Er schildert den Niedergang einer internationalen, englischsprachigen Zeitung in Rom. Eine, in der die Redakteure am Ende die besseren Computer mitgehen lassen. Davor geht es auch um die Geschichten dieser Kollegen; den unterforderten Nachruf-Spezialisten, dessen größter Wurf auf eine Meldung zusammengedampft wird, den Korrektor und seine Sprachbibel, den Nachrichtenchef, der es irgendwie schafft, abends für seine Frau, die ihn jedoch mächtig betrügt, zu kochen. Und um die Kauffrau, die für die Entlassung eines Kollegen verantwortlich ist. Den trifft sie zufällig wieder. Es wird intim. Und als sie entblößt ist, stellt er sie zur Rede. Es sind alles selbstverliebte Neurotiker in einer sich ändernden Welt. (Klaus Koch)
Tom Rachmann, Die Unperfekten, dtv, 400 Seiten, 14,90 Euro.

Zwei an einem Tag: Das doppelte Lesevergnügen. David Nicholls und Jakob Arjouni widmen sich der Liebe und Idioten. „Zwei an einem Tag“: Der Titel, den David Nicholls seinem bittersüßen Roman gibt, könnte auch das perfekte Motto für einen anregend-entspannenden Strandtag sein. Wer sich nicht zwischen den Genres entscheiden kann und zwei Bücher an einem Tag genießen möchte, sollte vielleicht am besten beiden Gelüsten nachgeben: dem Wunsch nach melancholisch-romantischer Unterhaltung und dem Bedürfnis, das eigene Dasein mit all seinen ironischen Zwischentönen zu sehen. Was beide Bücher verbindet? „Zwei an einem Tag“ ist weit mehr als eine amüsante Liebeskomödie über ein ungleiches Paar. Es ist ein Buch über das Leben als Reihe verpasster Chancen. Auch Jakob Arjouni („Idioten. Fünf Märchen“) wagt einen wunderbar-witzigen Blick auf menschliche Schwächen und humane Eigenheiten. Wer das Prinzip „Zwei an einem Tag“ beherzigt, hat am Ende von allem etwas: etwas zum Sinnieren, etwas zum Seufzen und etwas zum Schmunzeln. (Martina Thöne)
David Nicholls: Zwei an einem Tag, Heyne, 544 Seiten, 9,99 Euro.
Jakob Arjouni: Idioten. Fünf Märchen, Diogenes, 160 Seiten, 9,99 Euro.

Die internationale Jagd auf den Schurken „Emir“. Tom Clancys neuer Roman „Death or Alive“ bietet stundenlange Spannung pur. Das beklemmende Element der Bücher von Tom Clancy ist die Realitätsnähe. In seinem neuesten Werk „Death or Alive“ beschreibt der US-amerikanische Autor akribisch, wie Terroristen mit den Mitteln der modernen High-Tech-Welt und gnadenloser Brutalität einen Anschlag auf die Vereinigten Staaten planen, dessen Auswirkungen im wahrsten Sinne des Wortes tödlich sind. Protagonist des Bösen ist der gesichtslose Terrorist „Der Emir“, der sich des Internets bedient, um seine weltweit agierenden Terrorgruppen zu steuern. Seine Gegenspieler — die Fans von Tom Clancy ahnen es — sind Jack Ryan und eine ganze Menge aktueller und ehemaliger Angestellter der US-Geheimdienste. Darunter die neue Organisation „Der Campus“. Death or Alive bietet Spannung ab der ersten Seite. Fiktion und Dokumentation liegen hier dicht zusammen. Das, was Clancy beschreibt, könnte vermutlich auch in der Wirklichkeit geschehen. Wie gesagt: beklemmend. (Robert Maus)
Tom Clancy: Death or Alive, Heyne Verlag, 1040 Seiten, 22,90 Euro.

Genialer Grantler gegen Reliquien-Räuber. Allgäu-Kommissar Kluftinger jagt eine Bande raffinierter Meisterdiebe — herrlich! Wenn Meister Eder und Sherlock Holmes irgendetwas miteinander gehabt hätten, dann wäre vermutlich er daraus entstanden: Kommissar Kluftinger. Der knurrige Kommissar aus dem idyllischen Allgäu-Örtchen Altusried, dessen Vorname so gut wie niemals fällt, ermittelt einerseits mit einem unschlagbaren Spür- und andererseits mit einem urbayerischen Starrsinn. Blöd für ihn und seine Mitarbeiter, aber herrlich für den Leser ist dabei, dass die eine Eigenschaft der anderen manchmal im Weg steht. Besonders in seinem neuen Fall, bei dem der notorische Antimodernist und Technik-Verachter gegen eine bestausgerüstete Bande von Meisterdieben antreten muss, die ausgerechnet den wertvollsten Reliquienschatz des Allgäus rauben müssen. Keine Frage, dass „Klufti“ das verhindern muss — was das Autoren-Duo Klüpfl und Kobr mit der perfekten Mischung aus Spannung und Komik auf 400 im Nu dahinfliegenden Seiten erzählt. Prädikat: ein Ferien-Muss! (Florian Launus)
Volker Klüpfl/Michael Kobr: „Schutzpatron. Kluftingers neuer Fall. Piper, 440 S., geb., 19,95 Euro.

Wo Swarovski-Kristall auf Schweinezucht trifft. Anne B. Ragde erzählt eine skurrile Familiengeschichte aus Norwegen. Drei Brüder: Ein Schweinezüchter, der den elterlichen Hof nie verlassen hat, ein Bestattungsunternehmer, dem die toten Mitmenschen lieber sind als die Lebenden, und ein schwuler Schaufensterdekorateur mit einer Leidenschaft für Swarovski-Kristalle. Und dann noch die bis dato unbekannte, uneheliche Tochter einer der Brüder. Sie alle treffen aufeinander, als die Mutter und Großmutter im Sterben liegt. Zwischen ihnen liegen Welten, über die Jahre haben sie sich voneinander entfremdet, könnten unterschiedlicher kaum sein. Und doch verbindet sie alle ein unausgesprochenes Geheimnis, das nur der Vater lösen kann und das mit dem drohenden Tod der Mutter alles zum Einsturz bringen könnte. Mit „Lügenhaus“ erzählt Anne B. Ragde eine bemerkenswerte Familiengeschichte, die den Leser immer wieder in eine andere Welt tauchen lässt, je nach dem, welcher der Brüder gerade im Fokus steht, und deren Ende nach einer Fortsetzung schreit. Gut, dass es die schon gibt. (Andrea Wiegmann)
Anne B. Ragde: „Das Lügenhaus“. btb Verlag, 336 S., Taschenbuch, 9 Euro.

Carlo Pedersoli und Bud Spencer — zwei Namen, ein Leben. Kein Schauspieler, sondern ein Charakterdarsteller. Die Biografie des DSDS-Siegers? Uninteressant. Was hat der schon erlebt? Wenn jemand mit Fug und Recht seine Biografie schreiben darf, dann Carlo Pedersoli, besser bekannt als Bud Spencer. Das Buch lohnt sich nicht nur für Filmfans. Denn genug erlebt hat der 81-jährige Italiener. Und in seinem Rückblick lässt er nichts aus. Die behütete Kindheit in Neapel, die Jugendzeit, in der er mit den Eltern nach Südamerika auswanderte und natürlich seine Schwimmkarriere. Er wurde italienischer Meister, nahm zweimal an Olympischen Spielen teil. Nach dem Ende der Sportlerkarriere trainierte er nicht mehr, aß in gleichen Mengen weiter, nahm zu — und wurde für den Film entdeckt. Der Rest ist Geschichte, obwohl Spencer selbst über jeden Film gesagt hat, das sei der letzte. Mit Terence Hill (eigentlich Mario Girotti) verbindet ihn eine dicke Freundschaft. Und immer gilt sein neapolitanisches Lebensmotto: Futtetenne — Scheiß drauf! (Julia Klinkusch)
Carlo Pedersoli: Bud Spencer. Mein Leben, meine Filme, Schwarzkopf & Schwarzkopf, 256 Seiten, 19,95 Euro.