Afghanistan-Einsatz: Jung fordert von Washington mehr Augenmaß
Der Verteidigungsminister beklagt zivile Opfer – und weist Oskar Lafontaine heftig in die Schranken.
Berlin. Angesichts der Gewaltspirale in Afghanistan hat Bundesverteidigungsminister Peter Jung (CDU/Foto) von den US-Streitkräften mehr Rücksicht auf die Zivilbevölkerung gefordert. "Tatsache ist, dass wir weiterhin Terrorismusbekämpfung brauchen. Aber wir müssen auch in diesem Bereich angemessen und verhältnismäßig reagieren", sagte er zum US-geführten Anti-Terrorkampf "Operation Enduring Freedom". Opfer unter Zivilisten erschwerten alle Friedensbemühungen. "Damit gewinnen wir eben nicht das Vertrauen der Bevölkerung."
Ähnlich äußerte sich SPD-Fraktionschef Peter Struck: Manche Afghanen hätten den Eindruck, es werde ohne Rücksicht auf Verluste und zivile Opfer vorgegangen.
Gestern Abend wurden die Leichen der getöteten deutschen Soldaten nach Deutschland gebracht. Auf dem Flughafen Köln/Bonn sagte Jung bei einer Trauerfeier, er sei dankbar für den Einsatz der Soldaten in Afghanistan. "Dass er mit Risiko für Leib und Leben verbunden ist, haben wir wieder bitter erfahren müssen", fügte er hinzu.
Für Aufregung sorgte eine Meldung, wonach der Bundeswehrstandort in Feisabad Dienstagabend mit drei Raketen angegriffen worden war. Es habe aber keine Verletzten oder Tote gegeben, teilte das Verteidigungsministerium gestern mit.
In einem Gespräch mit unserer Zeitung erneuerte der Fraktionschef der Linkspartei/PDS, Oskar Lafontaine, seinen Vorwurf, die Bundeswehr sei mittelbar an terroristischen Aktivitäten der Nato beteiligt. In Afghanistan würden viele Zivilisten durch Nato-Bomben umgebracht. "Daran darf sich Deutschland nicht beteiligen", forderte er.
Minister Jung wies das scharf zurück. Lafontaines Äußerungen lösten bei den Soldaten und in weiten Teilen der Bevölkerung "blankes Entsetzen" aus, sagte er "Spiegel online". Die Linkspartei sei "charakterlos unterwegs". Das sei "abstoßend".
Deutsche Soldaten, die in Särgen nach Hause kommen: Das ist ein Anblick, der innehalten lässt. Verteidigungsminister Franz-Josef Jung liegt richtig, wenn er einen Abzug der Bundeswehr ablehnt. Ebenso richtig ist aber auch, nicht in ein stumpfes "Weiter so!" zu verfallen.
Vor allem die USA müssen bei ihrem militärischen Einsatz mehr Augenmaß beweisen. Es ist nicht hinnehmbar, dass sie bei der Jagd nach Terroristen mehr oder weniger blind Dörfer aus der Luft angreifen und so den Tod vieler unschuldiger Zivilisten in Kauf nehmen. Jungs diplomatisch-verbrämte Aussage, dieses Vorgehen sei "kontraproduktiv", war überfällig. Denn je brutaler die Amerikaner vorgehen, desto mehr bringen sie die Afghanen gegen sich auf - und desto mehr Auftrieb erhalten die Terroristen.
Washingtons Mit-dem-Kopf-durch-die-Wand-Politik verschlechtert die Lage. Afghanistan ist nicht reif für eine Demokratie nach westlichem Vorbild. Die dortige Stammes-Kultur folgt einer jahrhundertealten Tradition. Den Afghanen nun unsere Vorstellung von einer freiheitlichen Gesellschaft aufzwingen zu wollen, führt naturgemäß zu Abwehrreaktionen.
Eines allerdings sollte man bei aller berechtigten Kritik nicht tun: Ursache und Wirkung verwechseln. Nicht die Nato-Truppen inklusive der Bundeswehr haben die Terrorgefahr im Westen heraufbeschworen. Die Aggression ging und geht von El Kaida und den Taliban aus. Sie sind es, die alles daran setzen, den Westen auszulöschen - unabhängig davon, ob er sich am Hindukusch engagiert oder nicht.
Wie zynisch muss man eigentlich sein, um die Bundeswehr-Soldaten zu bezichtigen, mittelbar an Terroraktionen beteiligt zu sein? Linken-Chef Oskar Lafontaine sollte sich dafür schämen.
Die Bundeswehr leistet im Norden Afghanistans Aufbauarbeit. Sie will die Rahmenbedingungen dafür schaffen, dass Straßen, Schulen, Krankenhäuser gebaut werden können. Die getöteten deutschen Soldaten wollten Kühlschränke kaufen, als sie in aller Öffentlichkeit heimtückisch ermordet wurden. Wer diese Tatsachen verdreht, setzt die Arbeit der Terroristen fort.
Lafontaine hat recht: Afghanistan droht eine Irakisierung. Er sollte allerdings darauf achtgeben, dass seine Linkspartei nicht zugleich talibanisiert.