FDP: Wut, Enttäuschung und tiefe Trauer
Die Abwahl der Liberalen ist in jeder Hinsicht historisch. Nun droht ihnen die Selbstzerfleischung — Parteichef Rösler deutet Rücktritt an.
Berlin. So wie auf der Bühne der FDP am Sonntag um 19.41 Uhr sieht es sonst nur bei Beerdigungen aus, direkt am Grab. Dirk Niebel, rote Wangen, rote Augen, Tränendruck. Ebenso Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Guido Westerwelle blickt totenstarr, auch Daniel Bahr. Alle sind jetzt Ex-Minister. Unten weint Mareike Goldmann, die Büroleiterin des Parteivorsitzenden Philipp Rösler, hemmungslos. Rösler leitet seine Stellungnahme überraschend mit einem Lob für die SPD ein. Die habe in schwierigen Zeiten nicht aufgehört zu kämpfen. „Das motiviert jetzt auch uns“, sagt er.
Es ist der Versuch, der Basis hier im Saal des Berliner Congress Centrums und draußen an den Fernsehschirmen irgendwie Mut zu machen. Es gebe viele, die an die Idee der Freiheit glaubten. Und deshalb müsse man jetzt anfangen, an einem Comeback der FDP zu arbeiten. Das ist die Botschaft, die auch Rainer Brüderle, der gewesene Spitzenkandidat, für die Parteimitglieder hat. „Es ist nicht das Ende der FDP“, ruft er aus.
Dieser Wahlabend ist aber das Ende dieser Riege, die da oben steht. Brüderle redet von sich aus schon von der Verantwortung für das Ergebnis, die man selbstverständlich übernehme. Und Rösler bekennt, dass es ihm nicht gelungen sei, in der FDP einen Aufbruch zu erzeugen, „obwohl das meine Berufung war“. Er sagt „war“, nicht „ist“. Seine Frau Wiebke, gelbes T-Shirt übergestreift, steht neben ihm und drückt ihn tröstend. Am Montag Vormittag treten die Noch-Bundestagsfraktion und der Vorstand zusammen. Dann dürfte es Rücktritte hageln. Die 93 Abgeordneten sind ihr Mandat sowieso los. Mit ihnen 300 Fraktionsmitarbeiter.
Wolfgang Thielbörger, früherer Kommunalpolitiker aus Göttingen, ist zur Feier angereist, die von der ersten Sekunde an keine Party ist. Er ist 80 und hat sich sein Bundesverdienstkreuz angesteckt. „Es waren die vielen Querelen in der Koalition“, so erklärt er sich das Ergebnis. „Die gesamte Führung“ sei schuld. „Mit denen geht kein Neuanfang.“ Auf der gegenüberliegenden Seite der FDP-Alterspyramide sieht Lasse Becker, 30, Chef der Jungen Liberalen, es ganz ähnlich. „Massive Fehler von allen in der Parteispitze“ hat er ausgemacht. „Am Anfang der Legislaturperiode haben wir Vertrauen verspielt und am Ende mit einer grauenhaften Wahlkampagne nicht wieder zurück gewonnen.“
Joachim Günther, bisheriger Abgeordneter aus Sachsen, wendet seine Wut gegen die CDU, die der FDP nicht mit Leihstimmen helfen wollte. „Jetzt kann man nur hoffen, dass es Rot-Rot-Grün gibt, damit Angie mal sieht, was sie da angerichtet hat“, sagt er sarkastisch. Ernst Burgbacher, Noch-Staatssekretär im Wirtschafsministerium, war sowieso nicht mehr angetreten. Aber er ist seit 1969 Mitglied, und er sieht diese Destruktivität, die jetzt beginnt. „Wir müssen zusammenbleiben als Partei“, appelliert er eindringlich. „Unbedingt zusammenbleiben.“ Auch seine Augen werden glasig.
Als erster läuft schon kurz nach 18 Uhr einer vor die Mikrofone und Kameras, auf den der Job des Zusammenhaltens jetzt wohl hinauslaufen wird. Christian Lindner, 34, Partei- und Fraktionschef der FDP in Nordrhein-Westfalen. Er wirkt ruhig. Als er sich Ende 2011 nach einem Streit mit Rösler als Generalsekretär der FDP aus Berlin verabschiedete, sagte er auffällig betont: „Auf Wiedersehen“. Nun steht Lindner tatsächlich vor der Tür des Parteivorsitzes.
Aber seine FDP ist weg.