Grünen-Parteitag: Die linke Utopie wurde vertagt

Glück für die Doppelspitze Roth und Bütikofer: Der Systemwechsel hin zur Grundversorung fällt erst einmal aus.

Nürnberg. Mehrmals hat sich Reinhard Bütikofer in Nürnberg den Kopf rot geredet. Als er für höhere Hartz-IV-Sätze plädierte. Als er den grünen Ober-Realo Oswald Metzger abkanzelte. Nun klatscht Bütikofer mit der Kraft, die nur Erleichterung erzeugen kann. Co-Parteichefin Claudia Roth hält ihrem Kompagnon eine Kaffeetasse mit dem neuen Grünen-Logo hin. Sie will auf einen Sieg anstoßen.

Auch Oswald Metzger, der Parteirebell des wirtschaftsliberalen Parteiflügels, hatte kein Glück. Der Finanzpolitiker aus Baden-Württemberg, der über Tage hinweg die parteiinterne Kontroverse bestimmt hatte, bekam nur ein paar schlappe Minuten Redezeit. Es war vor allem seine Bemerkung, viele Sozialhilfe-Empfänger sähen "ihren Lebenssinn darin, Kohlenhydrate und Alkohol in sich hineinzustopfen", die beinahe die komplette Partei gegen ihn aufbrachte.

Dass er gleich zu Beginn seiner Rede die Grünen-Mitglieder versehentlich siezte, sagt viel über die wechselseitige Entfremdung aus. Die von Bütikofer geforderte Entschuldigung wollte Metzger nicht liefern. "Ich verstehe die Haltung des Parteitags nicht", sagte er. "Liebe Leute, wir sind nicht mehr in Zeiten der Unschuld."

Sieben Jahre lang habe man Europas größte Volkswirtschaft mitregiert, da sei es falsch, mit leichter Hand 60 Milliarden Euro in den Sozialstaat zu pumpen. Weder mit den grünen Agenda-Korrekturen noch der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens kann sich der Politiker mit Parteiaustrittsambitionen anfreunden.

SOZIALPOLITIK Die Grünen fordern die Anhebung der Hartz-IV-Bezüge von 347 auf 420 Euro und auf bis zu 350 Euro für Kinder. Mindestlöhne sollen verhindern, dass höhere Sätze plus Zuverdienst zu einem Kombilohnmodell werden. Fürs Alter sollen bis 3000 Euro pro Lebensjahr zurückgelegt werden können. Partnereinkommen sollen nicht angerechnet werden. Bis zu einem Zuverdienst von 400Euro soll die Hälfte, darüber über 20 Prozent anrechnungsfrei bleiben. Sanktionen sollen durch Arbeitsanreize ersetzt werden.

GRUNDSICHERUNG Langfristig soll es für alle Kinder eine Grundsicherung ohne Bedarfsprüfung geben. Allen Bürgern soll ein zwischen Ausbildung und Rente frei verfügbarer fester Betrag für berufliche Zwischenzeiten gegeben werden.

MARKTWIRTSCHAFT Die Grünen wollen gegen ökologisches und soziales Marktversagen staatliche Regeln und Anreizprogramme.

KLIMAPOLITIK Mit radikalen Neuerungen bei Verkehr, Stromerzeugung, Artenschutz und Öko-Abgaben wollen die Grünen die Erderwärmung auf zwei Grad begrenzen. Privathaushalte sollen für die Einsparung von fossil erzeugter Energie einen finanziellen "Ökobonus" bekommen, Energieverschwender sollen Abgaben zahlen. Für alle, die so viel Energie verbrauchen und somit CO2 verursachen wie der Durchschnitt, ändert sich nichts. Klimaschutz soll als Staatsziel ins Grundgesetz.