Steinmeier wird zum Feuerwehrmann

Der Streit zwischen der EU und Russland spitzt sich zu. Unmittelbar vor dem Gipfeltreffen versucht der Außenminister, ein diplomatisches Fiasko zu verhindern.

Brüssel. Hektische Krisendiplomatie im Namen der EU - das blieb Kanzlerin Angela Merkel und ihrer Berliner Regierungsmannschaft bisher erspart. Nach viereinhalb Monaten wird es nun Ernst für die deutsche EU-Ratspräsidentschaft. Bei einem kurzfristig angesetzten Spitzentreffen im Kreml wird Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier heute versuchen, unmittelbar vor dem Gipfel zwischen der EU und Russland die Wogen zu glätten.

Zu einem Fiasko soll es nicht kommen: "Der Gipfel wird stattfinden", wiederholt der deutsche EU-Vorsitz eisern. Vor dem Spitzentreffen an diesem Freitag in der Wolgastadt Samara geht es vor allem darum, in einer politisch aufgeheizten Stimmung zu deeskalieren und Vernunft walten zu lassen, meinte ein EU-Diplomat gestern beim Brüsseler EU-Außenministertreffen.

Große Durchbrüche werden bei dem Treffen von Präsident Wladimir Putin, Merkel und EU-Spitzenvertretern an der Wolga nicht mehr erwartet. Die Gemengelage aufgelaufener Schwierigkeiten sei einfach zu kompliziert. In der EU ist man schon froh, wenn der Gesprächsfaden nicht abreißt.

Und dann ist da noch die "große Politik". Washingtons Pläne, einen neuen Raketenschutzschild im östlichen Mitteleuropa zu stationieren, sorgt für Unmut in Moskau. Putin drohte deshalb bereits mit der Aussetzung von Abrüstungsverträgen. Eine weitere Sollbruchstelle zwischen dem Westen und Russland ist die Zukunft des Kosovo. Russland lehnt im UN-Sicherheitsrat als treuer Verbündeter Serbiens den von den USA eingebrachten Resolutionsentwurf zu einer Unabhängigkeit der Krisenprovinz energisch ab.

Die EU darf schon wegen der äußerst heiklen Kosovo-Frage Moskau nicht verprellen. "Das Wichtigste, was wir in der Europäischen Union mit Russland jetzt zu lösen haben, ist Kosovo", unterstrich der luxemburgische Außenminister Jean Asselborn. In Samara müsse die EU klar sagen, dass diese Zukunfts-Frage, bei der es um den Frieden in Europa gehe, gemeistert werden müsse.

Angesichts dieser krisenhaften Entwicklungen redet derzeit kaum noch einer über das angestrebte Kooperationsabkommen mit Russland. Die Bundesregierung wollte während ihrer EU-Präsidentschaft die Verhandlungen dazu beginnen. Nach dem Willen der energieabhängigen Europäer sollte es in dem Pakt auch ein Energiekapitel geben.

Mai 2006: Präsident Wladimir Putin warnt erstmals offen vor einem neuen Wettrüsten in Europa. Als Grund für die krisenhafte Entwicklung nennt er die Erweiterung der Nato Richtung Osten und die Errichtung von US-Stützpunkten in Rumänien und Bulgarien.

Januar 2007: Putin kündigt ein Veto gegen die Unabhängigkeit des Kosovo an, falls diese von den Vereinten Nationen gegen den Willen Serbiens durchgesetzt werden soll.

Februar 2007: Putins Rede bei der Münchner Sicherheitskonferenz schockt den Westen: Die Raketenabwehrpläne der USA könnten einen neuen Kalten Krieg heraufbeschwören, behauptet Russlands Präsident.

April 2007: Putin droht mit dem Ausstieg aus dem Vertrag über Konventionelle Streitkräfte in Europa (KSE), wenn die überarbeitete Fassung nicht binnen eines Jahres von allen Nato-Staaten ratifiziert wird. Wenige Tage später legt Putin nach und vergleicht die US-Raketenpläne mit der Pershing-Stationierung in den 80er Jahren.

April - Mai 2007: Nach der Verlegung eines sowjetischen Kriegerdenkmals (Foto) auf einen Friedhof in Estland schaukelt sich eine Krise zwischen dem EU-Staat und Russland hoch: Moskau droht mit diplomatischen Konsequenzen und stellt den Zugverkehr Richtung Tallinn (Hauptstadt Estlands) ein.

"Deeskalieren", "Vernunft walten lassen" - die Floskeln aus Brüsseler Diplomatenkreisen werfen ein bezeichnendes Licht auf den bevorstehenden Gipfel zwischen der EU und Russland: Frank-Walter Steinmeier soll retten, was kaum noch zu retten ist. Niemand glaubt ernsthaft daran, dass man in dieser aufgeheizten Atmosphäre noch mit Vernunft weiterkommt. Wladimir Putin sucht die Konfrontation mit der Nato, insbesondere mit den neuen Mitgliedern im Osten, und die EU gerät zwischen die Fronten. Dass sie das Pech hat, mit den polnischen Kaczynski-Brüdern auch noch Scharfmacher in den eigenen Reihen zu haben, komplettiert das Chaos. Steinmeier steht vor einer Herkulesaufgabe.