Der Bundesliga-Winter-Check 2015/16 Borussia Dortmund: Wie halten Watzke und Tuchel ihre Stars?
Die herausragenden Leistungen der Hinrunde wecken Begehrlichkeiten.
Dortmund. Borussia Dortmund muss sich warm anziehen. Das hat mit dem Temperatursturz zu tun, der den Fußball-Bundesligisten erwartet. Samstag geht es zurück vom Persischen Golf aus dem Trainingslager in Dubai, wo der Tabellenzweite eine Woche lang Werte um 27 Grad vorgefunden hat, in den Pott nach Dortmund. Dort sind Schnee und Frost angesagt. Vielleicht eine gute Übung für den BVB: Zum Schärfen der Sinne, um wach zu sein für einen zweiten Teil der Saison, welcher dem Club auf dem Weg hin zur direkten Qualifikation für die Champions League alles abverlangen wird — auch in DFB-Pokal und Europa League.
Imponierend, wie es die Westfalen geschafft haben, nach sieben erfolgreichen Jahren unter der Regie des allmächtigen und omnipräsenten Jürgen Klopp einen Stilwandel zu vollziehen. Mit einem Thomas Tuchel am Regiepult, der seine Arbeit bescheiden und akribisch verrichtet, ist Dortmund nach nur einem halben Jahr erheblich flexibler aufgestellt. Das taktische Repertoire ist größer geworden. Es besteht nicht mehr alleine aus Pressing und Gegenpressing. Auffällig ist das bei Ballbesitz. Gerade bei schwierigen Spielsituationen sind viel mehr Lösungen abrufbar. Probleme macht noch die Abwehrarbeit. 23 Gegentore sind eindeutig zuviel. Selbst Schlusslicht Hoffenheim hat nur zwei Treffer mehr kassiert. Bei Bayern München hat es erst achtmal geklingelt.
Durch die Abgänge von Jonas Hofmann (Borussia Mönchengladbach) und Leihgabe Adnan Januzaj (zurück zu Manchester City) ist der BVB im Offensivbereich angesichts des straffen Restprogramms zu schwach auf der Brust. Sportdirektor Michael Zorc hat das Trainingsquartier für Transfergespräche frühzeitig verlassen. Mal schien sich seine Spur nach Brasilien zu verlieren, wo Malcolm (18) von Corinthians ein Kandidat sein soll. Aktuell ist der Mainzer Yunus Malli ein Thema. Der 23-jährige türkische Nationalspieler dürfte aber noch zu teuer sein. Im Sommer soll er für rund zehn Millionen Euro zu haben sein. Laut „Sportbild“ gibt es BVB-Interesse am ukrainischen Stürmer Andriy Yarmolenko (26) von Dynamo Kiew, für den Zorc angeblich rund 30 Millionen Euro locker machen will.
Im Tor ist Roman Bürki klar die Nummer eins, obwohl der Schweizer Nationaltorhüter immer mal für einen Lapsus gut ist, zuletzt bei der Niederlage in Köln. Roman Weidenfeller kann ohne Qualitätsverlust einspringen, international spielt er sowieso. Defensiv führt an Mats Hummels trotz durchwachsener Vorrunde in der Zentrale kein Weg vorbei. Neben ihm balgen sich Sokratis, Sven Bender und Neven Subotic um den freien Platz. Der Grieche hat bei Thomas Tuchel die besten Karten. Hinten rechts hat Mathias Ginter überraschend für Furore gesorgt, zuletzt hat Lukasz Piszczk aber Boden gutgemacht. Die linke Seite ist für Marcel Schmelzer reserviert, Joo-Ho Park hat noch nicht überzeugt. Im defensiven Mittelfeld sorgt die Genesung von Nuri Sahin für weitere Optionen. Die Offensive — in Mittelfeld und Sturm — ist das Prunkstück. Beinahe jeder Spieler kann mehrere Positionen bekleiden. Zudem führt Pierre-Emerick Aubameyang die Torschützenliste an.
Alles hängt vom Erreichen der Champions League ab. Macht Dortmund das frühzeitig klar, können die Gespräche mit tragenden Säulen entspannter geführt werden. Bei Hummels, Gündogan, Mkhitaryan, Schmelzer, Bender und Piszczek laufen die Verträge im Sommer 2017 aus. Kaum vorstellbar, dass alle dem BVB treu bleiben. Gerade Gündogan ist ein Wackelkandidat, wird Jahr für Jahr von den attraktivsten Clubs Europas umworben, auch Hummels (englische Clubs) und Mkhitaryan (angeblich Juventus Turin) sind begehrt. Kaum vorstellbar, dass der BVB abermals einen Star ablösefrei ziehen lässt wie 2014 Robert Lewandowski zum FC Bayern. Ausschließen will Watzke das jedoch nicht: „Wenn es dann sein muss, sind wir — glaube ich — der einzige Club, der das auch mal durchzieht.“ Trifft Aubameyang weiter, wird auch er seine Karriere nicht beim BVB beenden. Dass Jungstar Julian Weigl bei Manchester City auf der Wunschliste stehen soll, ist nicht einmal unwahrscheinlich, kommt aber für ihn deutlich zu früh. Mönchengladbachs Defensiv-Allrounder Havard Nordtveit steht beim BVB hoch im Kurs, an ihm sind aber auch englische Vereine dran.
Seine wirkliche Leistungsfähigkeit hat Dortmund noch nicht ausgereizt. Mit Felix Passlack und Christian Pulisic haben zwei A-Jugendliche das Trainingscamp genutzt, um sich zu empfehlen. Spätestens in der kommenden Saison werden Sie fest zum Kader gehören. Noch näher dran ist Pascal Stenzel. Dem 19-Jährigen wird zugetraut, schon in der Rückrunde vermehrt auf der defensiven rechten Außenbahn zum Einsatz zu kommen.
Thomas Tuchel hat es geschafft, nicht in die riesigen Fußstapfen Jürgen Klopps zu treten. Er hat sich seinen eigenen Weg gebahnt. Dabei ist die Richtung identisch geblieben. Eine Kunst, die dem eigenwilligen Fußball-Lehrer nicht jeder zugetraut hatte. Auffällig, dass Dortmund viel weniger Verletzungsprobleme zu beklagen hat. Der Fußball an der B1 ist moderner geworden, nicht alleine nur auf Hochgeschwindigkeit ausgerichtet. Wenn Kräfte nicht vergeudet werden müssen, werden sie auch nicht vergeudet. Klingst simpel, ist es aber nicht. Tuchel steuert die Belastungen bewusst(er). Im Training und auch im Spiel. Sollte er den BVB direkt in die Champions League führen, werden alle Zweifler verstummen.