Seine Stellung in der Kunstwelt sucht seinesgleichen. Zum 80. Geburtstag von Anselm Kiefer gibt es ein Event, das das veranschaulicht: Zwei renommierte Museen schließen sich erstmals zusammen, um die gesamte Bandbreite seiner Kunst zu zeigen.
So bedeutend, könnte man bei der Schau der Amsterdamer Museen Van Gogh und Stedelijk denken, ist das Werk Kiefers, dass man zwei Häuser braucht, um ihm gerecht zu werden. Die Retrospektive „Anselm Kiefer: Sag mir wo die Blumen sind“ öffnete an diesem Freitag (7. März) - einen Tag vor dem 80. Geburtstag des deutschen Malers und Bildhauers, der seit mehr als 30 Jahren in Frankreich lebt.
Monumental und tiefgründig
In Amsterdam ist Kiefers Werk in seiner ganzen Bandbreite zu erleben. Im Van-Gogh-Museum treffen 25 Werke von Kiefer auf einige der ikonischsten Gemälde Vincent van Goghs, denn Kiefer hat sich immer wieder auf den niederländischen Meister bezogen, besonders auf dessen Sonnenblumenbilder.
Im Stedelijk Museum entfaltet sich Kiefers Kunst in seiner vollen Symbolkraft. Neben ikonischen Werken aus den 1980ern sind eigens für die Schau geschaffene Arbeiten zu sehen - darunter das monumentale Titelwerk. Mit Uniformen, getrockneten Rosenblättern und Gold inszeniert es den ewigen Kreislauf von Leben und Tod. 24 Meter misst die Installation um das historische Treppenhaus herum - mächtig und erdrückend, wie sein Gesamtwerk.
Trümmerkindheit im Schwarzwald
Kiefer wurde am 8. März 1945 in Donaueschingen im Südwesten Baden-Württembergs als Sohn eines Wehrmachtsoffiziers geboren - im Luftschutzkeller eines Krankenhauses wenige Wochen vor dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Seine Kindheit verbrachte er zwischen den Trümmern eines zerstörten Deutschlands.
„Ich habe gewissermaßen mit Ruinen gespielt“, erinnerte er sich später im Radiosender France Inter. Anfang der 50er Jahre zog seine Familie in die Nähe von Rastatt, wo er das Gymnasium besuchte. Anschließend studierte er Rechtswissenschaften und Romanistik in Freiburg, bevor er sich dort der Bildenden Kunst zuwandte. Seine künstlerische Ausbildung setzte er später in Karlsruhe fort.
Kunst in Asche und Blei
Diese frühe Erfahrung der Zerstörung ist in seinem gesamten Werk spürbar: Seine Bilder sind oft menschenleer, seine Landschaften verbrannt, seine Materialien schwer und voller Geschichte. Seine Bildsprache ist unverkennbar - graue, mit Asche und Stroh bedeckte skulpturale Landschaftsbilder, in Gips gehüllte Sonnenblumen, monumentale Bleibücher und gigantische Leinwände, die wie Ruinen vergangener Zivilisationen wirken.
Krieg, Mythen und das Universum prägen Kiefers monumentales Werk, das Geschichte, Philosophie und Natur erforscht. Gibt es für ihn noch eine offene Frage? „Vielleicht meinen Tod, als Schon-da-Seiend“, sagte er der dpa. Für Kiefer ist der Tod keine ferne Zukunft, sondern bereits Teil seines Daseins.
Werke von physischer Präsenz
Monumentalität bedeute für Kiefer nicht nur Größe. Sie ist eine Reflexion über das Unermessliche, die Unendlichkeit des Universums. „Wo fängt die Monumentalität an, und wo hört sie auf?“, fragte er einst im Deutschlandfunk. „Es gibt eigentlich gar nichts Monumentales - im Verhältnis zum Kosmos.“
Seine Werke - Gemälde, Skulpturen, Installationen - haben eine physische Präsenz. Ungewöhnliche Materialien wie Blei, Asche, verbrannte Sonnenblumen, Erde und verkohltes Stroh brennen sich in ihre Oberfläche ein wie Erinnerungen in die Geschichte. Sie sind Symbole für Vergänglichkeit und Transformation, für Energie und kosmische Zusammenhänge.
Ein radikaler Beginn
Seit den späten 1960er Jahren setzt er sich mit der deutschen Geschichte auseinander, oft provokant. Seine 1970 entstandenen „Heroischen Sinnbilder“ - Selbstporträts mit Hitlergruß - sorgten für Kontroversen, vor allem in Deutschland. Dort war er der Erste, der auf so radikale Weise das Tabu der Auseinandersetzung mit der NS-Vergangenheit durchbrach.
Statt die Inszenierung einer radikalen Erinnerungskultur wurden darin politische Sympathie und eine ästhetische Faszination für den Faschismus gesehen. Anerkennung fand er zunächst nur im Ausland, insbesondere in den USA und Frankreich.
Frankreich: seine zweite Heimat
1992 verließ Kiefer Deutschland und ließ sich in Frankreich nieder. In Barjac, in der Nähe von Nîmes im Süden des Landes, schuf er ein über 40 Hektar großes Ateliergelände mit unterirdischen Kammern, Pavillons und einem Amphitheater. 2007 zog er nach Paris, wo er seitdem ein 35.000 Quadratmeter großes Atelier im Vorort Croissy-Beaubourg besitzt.
Frankreich hat ihn längst wie einen Nationalhelden aufgenommen. Im Jahr 2020 beauftragte Frankreichs Staatschef Emmanuel Macron Kiefer damit, mehrere Werke für das Panthéon zu entwerfen. Zuletzt hatte der französische Staat 1924 einen Künstler damit beauftragt, ein Werk für die Ruhmeshalle und Grabstätte berühmter französischer Persönlichkeiten zu schaffen.
Zu Macron hat er die besten Beziehungen. „Macron ist mein Freund“, sagte er dem Radiosender France Inter. Aber nicht, weil er Präsident sei. Man spreche über Literatur und Dichter, die man bewundere.
Keiner so wie er
Für den verstorbenen William Rubin, Ex-Kurator des New Yorker Museum of Modern Art, war Kiefer der gefragteste zeitgenössische Künstler überhaupt. Er glaube nicht, dass einer der zeitgenössischen amerikanischen oder europäischen Maler so gut sei wie Kiefer, zitierte ihn das Kunstmagazin „stayinart“ einmal. Deutschland hätte seit dem Zweiten Weltkrieg keinen außergewöhnlicheren Geist im Bereich der Kunst hervorgebracht.
Für den britischen Kunsthistoriker Simon Schama besitzt Kiefer die Fähigkeit, die Vergangenheit in unseren Köpfen präsent zu halten. Wie der Fachmann in einer Sendung der britischen BBC sagte, führe er den Krieg gegen das Vergessen. Und das mache keiner so wie er.
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