Herbst der Renaissance in Deutschland
Berlin (dpa) - Renaissance-Ausstellungen laufen derzeit in Berlin, München, Hamburg und Dresden - Deutschland erlebt geradezu einen „Herbst der Renaissance“, wie es Ortrud Westheider, Direktorin des Hamburger Bucerius Kunst Forums ausdrückt.
Wie kommt es, dass diese Epoche gerade jetzt so präsent ist? „Es ist eben dieses Prinzip der Zeitenwende“, meint Christiane Lange, Direktorin der Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung in München. Die Renaissance war das Zeitalter der großen Entdeckungen und der Reformation. „Mit dem Ende des Kalten Krieges und dem 11. September haben wir auch so eine Zäsur, wo man in der Rückschau sagen wird: Da hat sich was geändert“, meint Lange. „Oder denken Sie an das Zerbrechen unseres doch seit 500 Jahren funktionierenden Finanzierungssystems! Man hat doch ein Gefühl der Verunsicherung, und das teilen wir mit der Renaissance.“
Eine besonders bestechende Parallele: Auch die Renaissance erlebte einen „Medienwechsel“, der sich mit dem Aufkommen des Internets vergleichen lässt - den Buchdruck. Dank dieser neuen Technik konnten Informationen, aber auch Schwarzweiß-Bilder plötzlich viel schneller und billiger verbreitet werden. In Windeseile tauschte man jetzt Kenntnisse, Ideen, Erfindungen und Nachrichten aus. Wissenschaftler und Künstler konnten sich über weite Distanzen gegenseitig beeinflussen.
Dadurch wurde eine kreative Energie freigesetzt, die gerade in der Kunst zu epochalen Neuerungen führte. So entdeckten die Maler die Zentralperspektive und konnten damit erstmals eine Tiefenwirkung erzielen. Bei den Zeitgenossen hinterließ das einen ähnlich starken Eindruck wie später die ersten Fotografien oder Filme. Gleichzeitig lösten sich die Künstler langsam von der Kirche und begannen, die Welt neu zu sehen.
„Die Renaissance als Zeit der Moderne ist natürlich eine, die Bezüge zur Gegenwart geradezu nahelegt, weil auch wir denken, dass wir uns in einer progressiven Zeit befinden“, sagt Stefan Weppelmann, Kurator der Ausstellung „Gesichter der Renaissance“ im Berliner Bode-Museum. Allerdings hält er die derzeitige Häufung von Renaissance-Ausstellungen für Zufall.
Die Ausstellung im Bode-Museum liefert noch einen weiteren Anknüpfungspunkt - sie zeigt einige der ersten wirklich individuellen Porträts. Westliche Gesellschaften sind heute denkbar stark individualisiert, und die Renaissance gilt als die Epoche, in der diese Entwicklung ihren Anfang nahm. Im Mittelalter hatten die Maler nur standardisierte Gesichter gezeigt, doch nun schufen sie Porträts, die alle Eigenheiten einer ganz bestimmten Person täuschend echt wiedergaben.
Christiane Lange findet es dabei faszinierend, dass die Gesichter noch immer eine ganz unmittelbare Präsenz haben: „Wenn man sie aus ihren Kappen, Pelzen und Miedern herausnimmt, dann stellt man fest: Diesen ganzen Leuten könnte man heute auf der Straße begegnen.“
Doch nicht jeder Experte sieht große Übereinstimmungen zwischen der Renaissance und der heutigen Zeit. „Das ist ein Schmarrn“, sagt Prof. Raimund Wünsche, Chef der Glyptothek (Skulpturensammlung) in München. „Man sucht immer Parallelen, aber da könnte man auch 100 Gegenbeispiele anführen. Die Wahrheit ist doch: Große Namen ziehen immer. Die Psychologie der Masse ist einfach Berühmtheit - wir leben in einer Label-Gesellschaft. Manierismus zum Beispiel ist auch interessant, aber da denkt man an "manieriert", und das ist negativ besetzt. "Renaissance" hört sich eben einfach unheimlich gut an.“