Meinung Das Ende der sicherheitspolitischen Blauäugigkeit
Meinung · Wer nicht spürt, dass die Sicherheit der Welt zerfällt und dass jede Nation nun ihre Kräfte und Strategien neu sortieren muss, auch ihre Allianzen, hat wenig mitbekommen. Oder steckt den Kopf in den Sand.
Ideen sind in Deutschland oft schneller verworfen, als sie ausgesprochen sind. Ganz besonders, wenn es um die Sicherheitspolitik geht. Die Kultur der Zurückhaltung ist hierzulande tief verwurzelt. Nach der brutalen Erfahrung, die die anderen Völker mit Deutschland gemacht haben, ist das gewiss nicht falsch.
Doch die Zeit bleibt nicht stehen. Sie verlangt nicht nach alten, aber sie verlangt nach neuen Antworten. Helmut Kohl kaufte sich noch von einer Beteiligung am ersten Irak-Krieg frei. Doch seit dem Luftkrieg gegen Serbien 1999 hat sich Deutschland an zahlreichen Auslandseinsätzen beteiligt. Darunter Friedensmissionen, Ausbildungsmandate, aber auch Kampfeinsätze. Immer im internationalen Verbund, immer mit Zustimmung des Bundestages. An diesen beiden Bedingungen rührt auch Annegret Kramp-Karrenbauer nicht.
Aber dass ein UN-Mandat immer Voraussetzung für Auslandseinsätze sein müsse, sagt sie nicht mehr. Die neue Verteidigungsministerin und vielleicht künftige Kanzlerin spricht vom Schutz wirtschaftlicher Interessen, sogar im Pazifik. Sie spricht nicht nur vom Schutz gegen Terror oder Angriffe. Nach ihrem Willen soll es auch in Deutschland einen Nationalen Sicherheitsrat geben, also quasi eine ständige Krisen- und auch Kriegsbereitschaft, samt einer Verdoppelung der Militärausgaben. Das alles ist sehr weitreichend.
Natürlich: Alles was die Ministerin in diesen Tagen sagt, sagt sie auch in eigener Sache, zur Rettung ihrer Autorität als CDU-Chefin und zur Wahrung ihrer Chancen als mögliche Merkel-Nachfolgerin. Aber die Vorschläge damit ab zu tun, wäre zu einfach. Wer nicht spürt, dass die Sicherheit der alten Welt zerfällt und dass jede Nation nun ihre Kräfte und Strategien neu sortieren muss, auch ihre Allianzen, hat wenig mitbekommen. Oder steckt den Kopf in den Sand.
Annegret Kramp-Karrenbauer redet als Verteidigungsministerin naturgemäß vor allem übers Militär. Das ist der Mangel ihres Vorstoßes. Es darf nicht um eine simple Militarisierung gehen. Nicht immer ist die Bundeswehr zuerst gefragt, schon gar nicht überall. Manchmal ist Diplomatie viel wichtiger, manchmal Entwicklungshilfe. Aktuell zum Beispiel ist es am vordringlichsten, Europa als Raum liberaler Demokratien zusammenzuhalten. Und eine gemeinsame Strategie der EU zu den Konflikten in den unmittelbaren Nachbarregionen zu entwickeln. Von Russland über Nahost bis Nordafrika. Das darf freilich keine Ausrede dafür sein, dass die drittstärkste Exportnation der Welt nur über eine geringe militärische Einsatzbereitschaft verfügt und immer andere um Schutz und Beistand bitten muss. Selbst für seine Containerschiffe. Und dass diese Nation keine eigenen Sicherheitsinitiativen entfaltet.
Bisher war Deutschland der größte Nutznießer der internationalen Stabilität. Die Drecksarbeit mussten andere machen. Wenn sich diese Haltung in Zeiten wachsender Gefahr nicht verändert, wird Deutschland zum Nassauer. Also zum Schmarotzer. Die Sicherheitspolitik kann nicht mehr so unentschlossen, ja blauäugig weitermachen wie bisher. Wenigstens diese Botschaft Kramp-Karrenbauers sollte angekommen sein.