Das kollektive Trauma ist zurück

Die Bomben von Boston treffen die USA ins Mark

Düsseldorf. Fast zwölf Jahre sind vergangen, seit der Terror vom 11. September 2001 die Welt erschüttert und den USA ihre tiefe Verwundbarkeit vor Augen geführt hat. Bis gestern sah es aber so aus, als ob die Amerikaner diesen verhängnisvollen Tag überwunden hätten.

Im Umgang mit Sicherheitskontrollen hatte sich so etwas wie Gelassenheit eingestellt, selbst Taschenmesser sollen auf Flügen wieder erlaubt werden. Die Angst vor dem wirtschaftlichen Abstieg war plötzlich viel präsenter als die vor einem Terrorakt. Doch mit den Bomben von Boston ist das kollektive Trauma zurückgekehrt.

Natürlich ist die Versuchung groß, in Pawlow’scher Manier die Schuldigen bei Al Kaida zu suchen. Das ist einfach und lenkt trefflich davon ab, dass innenpolitisch vieles im Argen liegt. Doch diese Bluttat trägt nicht die Handschrift des Terrornetzwerks. Präsident Barack Obama verhält sich besonnen, indem er — anders als etliche konservative Politiker — den oder die Täter nicht gleich in die islamistische Schublade steckt.

Der Präsident kann sich rühmen, Al-Kaida-Chef Osama bin Laden zur Strecke gebracht und islamistische Terroristen durch massiven Drohneneinsatz in die Enge getrieben zu haben. Obama hat auch dazu beigetragen, dass die USA eine Dekade lang vom Terror befreit waren. Doch seit der Verschärfung der Wirtschaftskrise kriechen die Fanatiker wie Ratten aus ihren Löchern. Die extreme Rechte im Land hat starken Zulauf.

Und die Feinde der — als Zentralregierung empfundenen — Administration in Washington sammeln sich. Diese selbst ernannten Patrioten geißeln Obamas Kampf für schärfere Waffengesetze als Einschränkung ihrer individuellen Rechte und schüren die Furcht vor Überfremdung. Ein Attentat ausgerechnet am Patriot’s Day, jenem Feiertag, der den Beginn des Kampfes gegen die ferne Zentralregierung in London im Jahr 1776 zelebriert und wichtig ist für den Nationalstolz der Amerikaner, ist ein starkes Signal in diese Richtung und von den Terroristen womöglich gewollt.

Mit ihrem Terror ist es den Attentätern gelungen, das Gefühl der allgegenwärtigen Bedrohung zurückzutragen in die Gesellschaft. Ein schlimmer Tag für die USA und für einen Präsidenten, der vor der schwersten Herausforderung seiner Amtszeit steht.