Der leere Stuhl in Oslo ist eine Mahnung

Anja Clemens-Smicek kommentiert die Vergabe des Friedensnobelpreises.

Der Tag der Menschenrechte war am Freitag ein schwarzer Tag. Zum zweiten Mal nach dem Ausreiseverbot des Nazi-Regimes gegen den deutschen Pazifisten Carl von Ossietzky 1936 durften weder der Träger des Friedensnobelpreises noch ein Familienangehöriger die hohe Ehrung persönlich in Empfang nehmen. Liu Xiaobos Stuhl in Oslo blieb leer.

Doch die aufstrebende Großmacht China hat sich mit ihrer Weigerung, den Literaten aus der Haft zu entlassen, einen Bärendienst erwiesen. Es ist ihr nicht gelungen, die internationale Staatengemeinschaft durch politischen Druck zu spalten und die Verleihung zu sabotieren.

Geehrt wurde ihr Staatsbürger trotzdem - in Abwesenheit und damit symbolisch für unzählige weitere Bürgerrechtler, die in chinesischen Gefängnissen und Umerziehungslagern sitzen.

Das Nobel-Komitee verbindet mit der Vergabe des Preises stets eine politische Botschaft, die gerade in totalitären Staaten als Angriff auf ihr System verstanden wird.

In diesem Jahr wirft der Friedensnobelpreis ein Schlaglicht auf die Menschenrechtssituation in China, die sich seit den Olympischen Spielen 2008 stetig verschlechtert hat. Die Medienkontrolle wurde verschärft, Dissidenten wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Mit seiner unverhältnismäßigen Reaktion auf die Auszeichnung an Liu Xiaobo hat China der Weltöffentlichkeit einmal mehr bewiesen, dass es nicht würdig ist, im Kanon der Weltmächte mitzuspielen - auch wenn es sich mit dem Titel der zweitstärksten Wirtschaftsmacht der Erde schmückt. Denn wenn es um politische Reformen und die Achtung der Menschenrechte geht, ist China Entwicklungsland.

Sicher, letztlich wird sich die autoritäre Führung nicht beeindrucken lassen - weder von Preisvergaben noch von weltweiten Protesten oder politischen Appellen. Auch der Dalai Lama hatte einst die Ehrung erhalten, auf politische Fortschritte in China wartete man aber vergebens.

Trotzdem hat der Preis an Liu Xiaobo der Demokratiebewegung, die seit dem Blutbad auf dem Platz des Himmlischen Friedens weitgehend brachlag, neues Leben eingehaucht. Wie meinte doch der neue Friedensnobelpreisträger in seinem Prozess vor einem Jahr: "Es gibt keine Macht, die das Streben der Menschen nach Freiheit stoppen kann."