Meinung Der Rutte-Sieg ist kein Grund zum Aufatmen
Natürlich hätte es am Mittwochabend noch schlimmer kommen können. Nüchtern betrachtet sind jedoch ein Verlust von 5,2 Prozent für Mark Ruttes VVD und der Totalabsturz der niederländischen Sozialdemokraten (minus 19,1 Punkte auf jetzt 5,7 Prozent für die PvdA) auf der einen und ein nochmaliger Zugewinn von drei Punkten auf 13,1 Prozent für den rassistischen Venloer Schreihals Geert Wilders alles andere als ein Grund zum befreiten Aufatmen; es reicht allenfalls zum Luftholen.
Die Zusammenfassung des Ergebnisses, die ein Twitterer aus Amsterdam gab, versteht man auch ohne Übersetzung: „#Rutte moet dankbaar zijn dat #Erdogan zo’n idioot is.“ Und dass Wilders mit seiner Einschätzung — die PVV war die Nummer 3, nun ist sie auf Platz 2, beim nächsten Mal wird sie die Nummer 1 — recht behalten könnte, ist nicht so abwegig, wie in Deutschland fast alle Parteien mit Ausnahme der AfD glauben möchten.
Erstens sind die Gründe für Wilders’ Zulauf nicht über Nacht verschwunden. Zweitens steht der Niedergang der PdvA in direktem Zusammenhang mit dem Erfolg von „Denk“, die als erste reine und kaum verhohlen antisemitische Islampartei nun über drei Sitze verfügt. Rund um die Mitte hat im niederländischen Parlament also eine Radikalisierung stattgefunden, deren verfeindete Lager sich weiter gegenseitig befeuern werden. Und dass sich eine Tierschutzpartei auf 3,1 Prozent fast verdoppeln kann, spricht auch nicht für die politische Vernunft aller Niederländer.
Sorgen machen muss der Vergleich mit Frankreich: Dort findet die Politik seit nun mehr als 40 Jahren kein Mittel gegen das langsame, aber stetige Anwachsen des rechtsextremen „Front National“. Trotz Spaltung, mehrfachen Rückschlägen nach Skandalen und dem Familienkrach von Vater und Tochter Le Pen an der Führungsspitze ist der Zulauf kontinuierlich gestiegen, und das sowohl bei den Präsidentschafts- wie auch den Parlaments- und Europawahlen.
Und überall gleichen sich die Themen: Frankreich fehlt die einigende National-Idee, das Land ist gespalten, fürchtet um seine Sozialsysteme, misstraut den politischen Eliten und hat die Hoffnung auf ein Europa der Bürger statt der Bürokraten weitgehend aufgegeben. Klingt das vertraut? Eben. Nur, dass Angela Merkel noch nicht ganz so unbeliebt ist wie François Hollande. Viele Europäer fühlen sich unverändert von ihren Vertretern nicht repräsentiert. Daran hat Ruttes Sieg nichts geändert.