Zum Tag der Deutschen Einheit Einheit und Spaltung
Die Versuchung ist groß, auf eine Deutschlandkarte abzuheben, die gerade durch die Sozialen Netzwerke rast. Sie bildet einen Trend des Meinungsforschungsinstituts Insa ab, der markant ist und ungefähr so aussieht: Städte und Landkreise im Westen der Republik sind nahezu vollständig in Schwarz und Rot gefärbt, der Osten annähernd komplett in Blau.
Die Aussage zur Wahlabsicht bei den Erststimmen ist klar: CDU und SPD dominieren im Westen, die AfD im Osten. Dazwischen verläuft eine alte Grenze, die es seit 33 Jahren nicht mehr gibt. Die nach all den Komplikationen der deutschen Einheit langsam, aber im Ergebnis doch immer mehr zu zerbröckeln schien. Und die durch massenhafte Protestwahl größerer Teile der Bevölkerung und auch zunehmende politische Radikalisierung jetzt zu einer wenn nicht neuen, so doch wiederbelebten Grenze in den Köpfen vieler Menschen wird. Das Verständnis zwischen Ost und West füreinander – so die Diagnose zum Tag der Deutschen Einheit – zerbricht weniger an den alten Debatten wie „ungleicher Lohn in Ost und West“ und „alle Ost-Führungskräfte kommen aus dem Westen“. Auch weniger an persönlichen Brüchen in Biografien oder doch nicht aufgeblühten Landschaften, sondern daran, wie intensiv sich die Haltungen zu den großen Themen und Krisen der vergangenen Jahre clusterhaft einseitig verfestigt haben. Das ist tragisch.
Es ist beileibe nicht so, dass die AfD als rechte Partei nicht auch im Westen Zuwächse erleben würde. Der Osten aber droht im Angesicht einer noch größeren Demokratiekrise durch das Wahlverhalten zahlreicher Betonköpfe sich selbst nicht mehr gerecht zu werden. Die Grenze, dem eigenen Ärger etwas Spürbares folgen zu lassen, ist dort ungleich höher. Und es ist gefährlich. Jüngste Beispiele gibt es genug. Und die drei Landtagswahlen 2024 in Sachsen, Thüringen (beide 1. September) und Brandenburg (22. September) stehen wie eine nationale Bedrohung dem Erleben dieses heutigen Feiertags gegenüber. Ein Feiertag, der Einheit verspricht. Und doch eine neue Spaltung erlebt.