Meinung Für die umfassende Steuerreform fehlt der Mut
Gerade einmal acht der fast 200 Seiten umfassenden Koalitionsvereinbarung sind dem Finanzkapitel vorbehalten. Dort liest man viel über Verantwortung, solide Staatsfinanzen und auch etwas über Steuervereinfachung.
Aber Steuerentlastung, gar für Otto-Normalbürger? Fehlanzeige.
Dabei sprudeln die Steuerquellen so munter wie selten zuvor. Zugegeben, in diesem Jahr gingen Grund- und Kinderfreibetrag leicht nach oben, und die kalte Progression wurde ein wenig abgemildert. Doch das meiste davon war ohnehin verfassungsrechtlich geboten. Und der Rest wirkte wie eine Alibi-Veranstaltung angesichts prall gefüllter Kassen. Da geht deutlich mehr.
Die Union hat das Steuerthema früher noch stolz vor sich her getragen. Die Gemüter erhitzten sich an der Bier- deckel-Reform oder an Paul Kirchhoff, der das Steuersystem radikal ausmisten wollte. Doch von diesem Enthusiasmus ist nichts übrig. Als offizielle CDU-Linie gilt nur noch die trotzige Ansage: niemals Steuererhöhungen. So gesehen wäre es schon ein Wert an sich, würde die CDU nun überhaupt wieder ernsthaft über Steuererleichterungen diskutieren.
Wegen des jahrelangen Stillstands an der Steuerfront genügt es nicht mehr, an kleineren Schräubchen zu drehen. Eine umfassende Reform ist überfällig. Das zeigt sich vor allem am antiquierten Steuertarif. In den Anfängen der Republik war der Spitzensteuersatz erst auf Einkommen fällig, die das 17fache des Durchschnittslohns betrugen. Heute braucht es dafür nicht einmal mehr den doppelten Durchschnittslohn. Darunter fallen viele Facharbeiter. Das ist leistungsfeindlich.
Das gilt auch für die Tatsache, dass der Fiskus bei Arbeitseinkünften stärker zuschlägt als bei Kapitaleinkünften. Und: Die Erbschaftsteuer will Schäuble auch künftig nur am liebsten in homöopathischen Dosen eintreiben lassen. Das zeigt, dass ein umfassendes Konzept nicht nur aus Steuersenkungen bestehen kann. Es geht auch um Steuergerechtigkeit, die aktuell schwer verletzt wird. Doch spätestens hier wird es brisant. Das mussten bei der vergangenen Bundestagswahl vor allem die Grünen schmerzlich erfahren. Ihre Forderungen nach einem höheren Spitzensteuersatz und der Abschaffung des Ehegattensplittings erwiesen sich als großer Sympathiekiller. Schon deshalb ist zu befürchten, dass am Ende allen Parteien der Mut zu einem großen Wurf fehlen wird.