Meinung Heilpraktiker — der Staat muss genauer hinsehen

Vor einem Jahr brachte ein Heilpraktiker seinen Berufsstand in Verruf. Er hatte in seiner Brüggener Praxis Krebspatienten mit einem experimentellen Wirkstoff behandelt. Es gab Todesfälle. Die Debatte um die Zuverlässigkeit von Heilpraktikern ebbte aber wieder ab.

Meinung: Heilpraktiker — der Staat muss genauer hinsehen
Foto: Sergej Lepke

Weil man nicht einer ganzen Zunft das Fehlverhalten eines Einzelnen entgegenhalten kann. Zumal auch Ärzte immer wieder Kunstfehler verantworten. Doch nun verfolgen Medizinethiker mit Blick auf das Heilpraktikerwesen einen grundlegenderen und berechtigten Ansatz.

Zu Recht beklagen sie die „Parallelwelten“: Einerseits ist da die evidenzbasierte Medizin, also die Versorgung, die den Patienten auf der Grundlage der besten zur Verfügung stehenden Wissensquellen behandelt. Scheinbar gleichberechtigt agieren die Heilpraktiker, die ihre Patienten mit alternativen Therapieansätzen behandeln. Und das nach einer im Vergleich zum studierten Mediziner erschreckend schlichten Ausbildung.

Die Gesundheitsämter erteilen die Erlaubnis nach einer Kenntnisüberprüfung zu gesundheitlichen Grundfragen. Der Bewerber braucht einen Hauptschulabschluss, ein Führungszeugnis und muss mindestens 25 Jahre alt sein. Wie der heilpraktisch Interessierte sich sein Wissen aneignet, ist ihm überlassen. Kurse an privaten Schulen sind freiwillig, die Qualität unterliegt keiner staatlichen Aufsicht.

Weil der Staat das alles laufen lässt, wird suggeriert, dass das Behandlungsangebot dem des Arztes in etwa gleichwertig sei. Hinzu kommt: Anders als in der Arztpraxis, wo sich der Patient oft genug als lästiger Störenfried fühlt, gibt’s beim Heilpraktiker die ersehnte Zuwendung. Die Aufmerksamkeit, für die der Arzt oft keine Zeit hat. Wenn dann die Behandlung noch als sanft und nebenwirkungsfrei ’rüberkommt, scheint nichts mehr dagegen zu sprechen.

Doch ist wirklich jedem Patienten klar, dass ein im Schnellverfahren auf die Heilpraktik vorbereiteter Behandler auch eine Gefahr sein kann? Weil dieser vielleicht seine Grenzen nicht kennt und den Fall nicht rechtzeitig in fachkundige Hände gibt, wenn es ernst wird.

Nun könnte man sagen: Auch in der Praxis hat der Patient das letzte Wort. Er muss sich keiner vom Arzt empfohlenen Behandlung unterziehen und kann nein sagen. Dann ist doch auch zu respektieren, dass jemand eine alternative Form der Behandlung wählt.

Gewiss, doch von einem die medizinischen Angebote beaufsichtigenden Staat ist zu erwarten, dass er nicht zur Desinformation beiträgt. Wenn dieser die Gesundheitsversorgung auch durch Heilpraktiker zulässt, so geht der arglose Bürger davon aus, dass dann die Qualität doch wohl stimmen muss. Wenn man schon die medizinische Parallelwelt hinnimmt, so müssen jedenfalls die Zügel angezogen werden — was Ausbildung und staatliche Aufsicht betrifft.