Lukratives Geschäft mit schlechten Noten
Eltern haben kein Vertrauen mehr ins Schulsystem.
Kann man Bildung kaufen? Wenn Eltern bereit sind, für die Nachhilfe ihrer Kinder jährlich bis zu 1,5 Milliarden Euro auszugeben, lässt sich diese Frage nur mit Ja beantworten. Immerhin versprechen die kommerziellen Anbieter, tatsächliche und vermeintliche Lerndefizite zu beheben. Der Erfolg, so wird suggeriert, wird gleich mitgeliefert.
Doch wollen wir den Schulerfolg noch stärker als bisher vom Geldbeutel der Eltern abhängig machen? Sicher nicht. Unser Schulsystem krankt bekanntlich schon heute daran, dass es nicht in der Lage ist, Chancengleichheit herzustellen und Kinder aus bildungsfernen Familien zum Abitur zu führen. Mit dem Nachhilfe-Boom erreicht diese Form von sozialer Apartheid eine gefährliche Dimension.
Schleichend hat sich neben dem öffentlichen Schulwesen ein Parallelsystem entwickelt, das sich kaum kontrollieren lässt. Die Gründe dafür sind so einfach wie alarmierend: In Zeiten von Lehrstellenknappheit und hoher Arbeitslosigkeit zählt in unserer Gesellschaft nur noch der Leistungsgedanke. Eltern wollen für ihr Kind das Beste, haben aber ihr Vertrauen in das Schulsystem verloren. Nachhilfe als Beitrag zum Familienfrieden: Damit werden schon Grundschüler auf Erfolg gedrillt, immerhin kommt eine Hauptschulempfehlung einem Einstieg in eine Hartz-IV-Karriere gleich.
Das Abitur allein reicht nicht, nötig ist ein Einser-Durchschnitt. Doch der Mensch bleibt auf der Strecke, denn zum Leistungsdruck gesellt sich der Beschleunigungswahn: Auf die frühe Einschulung folgen eine halbherzig umgesetzte verkürzte Gymnasialzeit und ein straffes Studium. Dass viele Schüler heutzutage unter Konzentrationsschwierigkeiten und Schlafstörungen leiden, kann da niemanden verwundern.
Der Nachhilfe-Boom ist eine schul- und bildungspolitische Bankrotterklärung, und er muss für die Politik Anlass sein, über den Zustand unserer Schulen nachzudenken. Lassen eine überbordende Bürokratie und immer neue Reformen guten Unterricht überhaupt noch zu? Haben Lehrer Zeit für den einzelnen Schüler? Nachhilfe sollte zuerst in der Schule stattfinden und nicht privaten Einrichtungen überlassen werden. So lange aber Schulerfolg eine Frage des Einkommens ist, bleibt die Bildungsgerechtigkeit ein leeres Versprechen.