Niemand wird gezwungen, altruistisch zu sein

Wer einmal Demenz im Kreis seiner Angehörigen miterlebt hat, wird sich nach kleinen und großen medizinischen Fortschritten auf diesem Gebiet sehnen. Fortschritte, die jedem später einmal als direkt oder indirekt Betroffenem zugute kommen können.

Peter Kurz, Foto: Sergej Lepke

Peter Kurz, Foto: Sergej Lepke

Foto: Sergej Lepke

Fortschritt kann es indes nur mit medizinischer Forschung geben. Würde nun ein Medikament entwickelt, das Linderung verspricht, müsste es getestet werden. An Demenz-Kranken. Die Entscheidung des Bundestags zu eben dieser Frage sieht vor, dass solche Medikamente auch dann an schwer Demenzkranken erprobt werden dürfen, wenn der Erkrankte selbst keinen Nutzen mehr davon hat, sondern dieser Nutzen erst später bei anderen Betroffenen eintreten könnte.

Dass dies für Empörung sorgt, ist nachvollziehbar. Da wird kritisiert, dass nicht einwilligungsfähige Menschen zu Versuchskaninchen gemacht werden. Und haben nicht gerade erst Berichte für Entsetzen gesorgt, wonach es zwischen 1950 und 1970 in Jugendheimen Arzneimittelversuche an Jugendlichen und Kindern gab? Auch angesichts der Menschenversuche der Nazis müsste das Tabu doch so felsenfest stehen, dass man von allem, was nur entfernt nach einer solchen Grenzüberschreitung aussieht, die Finger lässt. Und doch wird die neue Regelung selbst mit Unterstützung des CDU-Gesundheitsministers Hermann Gröhe durchgesetzt. Wie kann das sein?

Das lässt sich sehr wohl begründen. Denn es gibt einen gewichtigen Unterschied zu den historischen Verstößen gegen die Menschenwürde. Zwar sind auch Demente, die in solche Medikamentenstudien einbezogen würden, nicht einwilligungsfähig, wären also gar nicht Subjekt einer eigenen Entscheidung. Doch würden nur solche Personen beteiligt, die sich zuvor in noch einwilligungsfähigem Zustand und nach ärztlicher Aufklärung selbst dafür entschieden haben. Das ist vergleichbar mit einer Patientenverfügung, in der man regelt, was Ärzte mit einem am Sterbebett zu tun und zu unterlassen haben.

Niemand muss also mitmachen, kann sich bei noch klarem Verstand dagegen entscheiden, bei solchen Medikamententests dabeizusein. Er sollte aber — auch das darf ihm nicht verwehrt werden — die Möglichkeit haben, sich in den Dienst einer Sache zu stellen, die zwar nicht ihm selbst, vielleicht aber anderen nutzen kann. Solcherart Altruismus sollte der Staat nicht verbieten. Genauso wenig, wie er ihn vorschreiben darf.