Meinung Schäuble demontiert Kanzlerin Merkel
Wolfgang Schäuble ist so lange im politischen Geschäft, dass man nicht annehmen sollte, er würde irgendetwas ohne Bedacht und ohne Hintergedanken sagen. Das muss man wissen, wenn man seine jüngsten Äußerungen zur Flüchtlingskrise richtig verstehen will.
Mit dem unvorsichtigen Skifahrer, der eine Lawine ausgelöst hat, kann nur Angela Merkel gemeint sein. Wer sonst? Es ist Schäubles rhetorische Masche, dass er in Vergleichen oder im Ungefähren formuliert, und trotzdem für jeden erkennbar werden soll, was er dahinter verbirgt. Unvorsichtige Skifahrer sind welche, die sich überschätzen. So denkt Schäuble also über die Kanzlerin und ihre Politik in der Flüchtlingskrise. In der Schule würde man sagen: mangelhaft bis ungenügend, Frau Merkel.
Jetzt muss die Kanzlerin wirklich nervös werden. Der Wind dreht sich eindeutig gegen sie. Das wurde schon bei den jüngsten Fraktionssitzungen deutlich. Und nachdem Schäuble bereits demonstrativ dem Innenminister in der Flüchtlingskrise den Rücken gestärkt hat, der bei diesem Thema alles andere als Merkel treu ergeben ist, stellt der Finanzminister jetzt praktisch direkt die Autorität seiner Chefin in Frage. Das ist auch deshalb ein starkes Stück, weil Schäuble immer als enger Vertrauter Merkels galt, als ihr Kompass. Was aber nun stattfindet, ist eine offene Demontage der Regierungschefin.
Schäuble bedient mit seinen Äußerungen die wachsende Zahl derjenigen in der Union, die eine deutlich härtere Gangart wollen — auch mit dem Begriff der Lawine übrigens, was fatalerweise ebenso die Hetzer gegen Flüchtlinge bestärkt. Entweder will der Finanzminister nun mit aller Macht erreichen, dass Merkel ihren umstrittenen Kurs ändert. Oder er wittert seine Chance, nach vielen Niederlagen doch noch sein politisches Leben krönen zu können. Mit dem Amt des Kanzlers. Zugeben würde Schäuble dies freilich nie. Mit einer Handbewegung, mit einem schelmischen Grinsen würde er solche Annahmen einfach wegwischen. Aber auch die CDU-Chefin scheint mittlerweile die Dramatik der Lage erkannt zu haben. Am Freitag will sich Angela Merkel im Fernsehen zur Flüchtlingskrise befragen lassen. Das ist notwendiger denn je. Zu lange hat sie geschwiegen, dem Chaos in ihrer Regierung zugesehen, nur um Geduld und Vertrauen gebeten. Nun muss sie zeigen, dass sie das Heft noch in der Hand hält.