Meinung SPD - Erneuerung in der Zwickmühle

All die Ideen, die auf dem SPD-Parteitag zur Erneuerung diskutiert und beschlossen wurden, helfen wenig. Nichts gegen Urabstimmungen über Vorsitzende und Kanzlerkandidaten. Aber wäre im Januar jemand anderes als Martin Schulz dabei herausgekommen?

Und sorgen Online-Debatten wirklich dafür, dass man näher an den Problemen ist?

Die Mitgliederschaft, die da stärker mitbestimmen soll, ist im Durchschnitt 60 Jahre alt und von Beruf meist Verwaltungsangestellter oder Beamter. Schwarmintelligenz wird da nicht automatisch zu besseren Ergebnissen führen. Die auf dem Parteitag beschlossene organisatorische Erneuerung ändert an der Grundproblematik aber nichts: Alle Volksparteien verlieren strukturell Mitglieder und Wähler, weil die Milieus, aus denen sie entstanden sind, verschwinden und verschwimmen. Bei der SPD wirkt das am stärksten. Die Partei braucht eine neue Erzählung, die sie auch für neue Schichten anziehend macht. Zum Beispiel: eine gerechte Gesellschaft, die leistungsfähig ist und zusammenhält. Das ist eine große Vision. Die Zielgruppe wären dann nicht mehr nur die klassischen Industriearbeiter, sondern alle, die unsere Gesellschaft tragen. Auch die Dienstleistungsberufe, die kleinen und mittleren Selbstständigen, die prekär Beschäftigten der neuen digitalen Welt. Auch Alleinerziehende, Ärzte oder Ehrenamtliche.

Nur lauert bei einer Partei, die regiert oder auch nur mitregiert, hinter jeder konkreten Forderung zur Umsetzung eines solchen Ziels immer die Verpflichtung, Kompromisse eingehen zu müssen. Und das lässt sie sogleich als unglaubwürdig erscheinen. Das ist die Zwickmühle. Es gibt jetzt eine große Sehnsucht nach einer neuen Reinheit der Lehre, sogar nach dem Untergang in Schönheit. Dem muss die SPD widerstehen, wenn sie Volkspartei sein und bleiben will. Sie muss Kompromisse finden, auch in den anstehenden Koalitionsverhandlungen. Sie muss diese Kompromisse dann aber auch mal offensiv erklären, nicht verschämt wie so oft in der Vergangenheit.

Es wird am Ende nicht der Bauch der Partei sein, der sie aus dieser Zwickmühle herausbringt. Sondern ein Kopf, der den Bauch nicht überhört. Martin Schulz, Andrea Nahles und die anderen können die Verantwortung für die Zukunft der SPD nicht einfach nach unten delegieren. Auch dann nicht, wenn es die Basis selbst fordert.