Meinung VW hat die Krisen noch längst nicht bewältigt
Die Kleinaktionäre von VW nutzten am Mittwoch während der Hauptversammlung die Chance, ihrem verständlichen Ärger freien Lauf zu lassen. Vor allem Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch wurde verbal angegriffen.
Er war mitten im Abgas-Skandal vom Posten des Finanzchefs direkt an die Spitze der Kontrolleure gewechselt. Ein Unding. Aber die Kritik daran verpuffte. Knapp 90 Prozent der Stimmrechte halten die VW-Gründerfamilien Porsche und Piëch, das Land Niedersachsen und das Emirat Katar. Sie stehen hinter Pötsch und Matthias Müller, dem neuen Konzernlenker.
Dass dieses Duo Volkswagen aus der Krise führen kann, darf aber durchaus bezweifelt werden. Neun Monate nach dem Auffliegen der Manipulationen an elf Millionen Dieselmotoren hakt es bei der Aufklärung. Wer wann was wusste — wir wissen es nicht. Zwar ist eine Einigung mit den Behörden und Klägern in den USA greifbar, aber hiesige Verbraucher warten vergeblich auf Hilfe. Es gibt weder die zugesagte Schlichtungsstelle für Neuwagenkäufe noch Entschädigungszusagen von VW. Der einstige deutsche Vorzeigekonzern liefert bei der Kundenfreundlichkeit eine erbärmliche Leistung ab.
Die Baustellen in der Volkswagen-Welt reichen weit über den Abgas-Skandal hinaus. Problem USA: Lange vor Dieselgate haben die Wolfsburger es nicht geschafft, auf dem zweitgrößten Automarkt der Welt erfolgreich zu sein. Und jetzt geht gar nichts mehr. Der Diesel wurde in den Staaten als besonders umweltfreundlich beworben und entpuppte sich als das krasse Gegenteil. Problem Rendite: Richtig Geld verdient wird im Konzern nur mit Audi und Porsche. Die Marke VW ist chronisch ertragsschwach. Dieses Defizit ist hinlänglich bekannt, aber mit den üblichen Mitteln offenbar nicht zu beseitigen.
Müller kündigte vor den Aktionären an, Milliarden Euro in Elektrofahrzeuge und die Digitalisierung stecken zu wollen. Dagegen stellte er die Optimierung des Dieselmotors als Sackgasse dar. Das kommt einer Kulturrevolution gleich. Müller bricht mit dem VW-Übervater Ferdinand Piëch, der VW zum größten Autobauer der Welt machen wollte und den Diesel dabei für unverzichtbar hielt. Nicht mehr Ingenieure, sondern Software-Experten werden bei Deutschlands größtem Autobauer die Richtung bestimmen. Gut möglich, dass ein Konzern mit zwölf Marken und etwa 600 000 Beschäftigten für einen derart radikalen Kurswechsel zu groß ist.