Meinung Recht oder Gerechtigkeit
Als ich die Nachricht bekam, dass der Prozess gegen zehn Verantwortliche eingestellt wird, war das für mich, als wäre mein Sohn ein zweites Mal gestorben. Diesen Satz von Gabi Müller, die ihren einzigen Sohn Christian bei der Loveparade-Katastrophe verlor, haben bis gestern 306 846 Menschen gelesen.
Genauso viele unterschrieben nämlich ihre Internet-Petition. Darin bittet sie, dass es doch noch zu einem Strafprozess kommen möge.
Die Petition war eine Reaktion auf den Beschluss des Landgerichts Duisburg, in dem dieses ein Hauptverfahren abgelehnt hatte. Die Richter waren darin auch in einem Satz auf die Perspektive der Angehörigen der Opfer eingegangen: „Ein verständliches Interesse an der öffentlichen Erörterung des Tatvorwurfs in einer Hauptverhandlung kann den hinreichenden Tatverdacht nicht ersetzen.“
Hintergrund: Einen Strafprozess gibt es nur bei hinreichendem Verdacht gegen die Angeschuldigten. In dieser Hinsicht hielten die Richter die Sache aber für einen „erkennbar aussichtslosen Fall“. Insbesondere, weil die Expertise des von der Staatsanwaltschaft beauftragten Gutachters nicht verwertbar sei. Juristisch wird auf 460 Seiten begründet, warum strafrechtlich nun nichts mehr geschehen soll.
Recht und Gerechtigkeit können kaum weiter auseinanderliegen. Es ist wohl so, dass die Staatsanwälte mit ihrem Gutachter als Grundlage der Anklage voll danebengegriffen haben. Und dass hier haarsträubende Fehler passiert sind. Doch wäre es kaum erträglich, wenn der Fall deshalb einfach zu den Akten gelegt wird. Noch ist nicht über die Beschwerde gegen den Richterspruch entschieden.
Und das nun von der Staatsanwaltschaft (zu spät?) bestellte neue Gutachten mag den 306 846 Menschen Mut machen, die auch diesen Satz von Gabi Müller gelesen haben: „Ich habe meinem Kind versprochen, dass ihm wenigstens Gerechtigkeit widerfährt. Bisher ist es das einzige Versprechen meinem Sohn gegenüber, das ich nicht halten konnte.“