Meinung Wenn Worte entlarven: Wer Neger sagt, meint Neger
"Gehe hin, stelle einen Wächter“. So heißt der erste Roman der US-Schriftstellerin Harper Lee, der in den 50er Jahren geschrieben, aber erst vor wenigen Tagen veröffentlicht worden ist. Auf der ersten Seite stolpert der Leser über das Wort „Neger“, dessen Fußnote auf eine editorische Notiz verweist.
Die deutschen Übersetzer Ulrike Wasel und Klaus Timmermann teilen darin mit, dass sie „negro“ aus Harpers Manuskript mit Blick auf die Entstehungszeit des Buches mit „Neger“ übersetzen, sich aber durchaus bewusst sind, dass dieser Begriff heute abwertend benutzt werde.
Dem bayerischen Innenminister Joachim Hermann (CSU) ist das nicht so geläufig. Er hat sich für seine rassistische Entgleisung Roberto Blanco gegenüber entschuldigt. Seine editorische Notiz im Frühstücksfernsehen: Üblicherweise verwende er dieses Wort nicht. Blanco — übrigens Ehrenmitglied der CSU — ließ verlauten, sich nicht beleidigt zu fühlen, der Minister habe es ja gewiss nicht böse gemeint. Das mag so sein.
Allerdings: Was dem Minister da rausgerutscht ist, muss ja vorher reingerutscht sein. Weltoffenes Denken, Toleranz oder die derzeit häufig bemühte Willkommenskultur darf man in diesem Kopf also nicht vermuten. Wer Neger sagt, der meint auch Neger — mia san mia und ihr seid ihr. Achtung, Achtung, hier spricht die Wörtchenpolizei, gekommen, um Vokabeln zu verbieten? Eben nicht. Es geht ums Zuhören. Weil Denken sich verändert hat und damit die Sprache (manchmal ist es umgekehrt) benutzt man in Deutschland heute, im Gegensatz zu früheren Jahrzehnten, bestimmte Worte nicht mehr.
Ein Verdienst jener politischen Korrektheit (Political Correctness), die gern als Zensur verleumdet wird. Deren Leistung es aber in Wahrheit ist, dass die Professorin am Katheder steht und nicht mehr die Frau Professor. Und die dafür gesorgt hat, dass man nicht mehr Neger oder Kümmeltürke sagt. Außer in Büchern oder in Fernseh-Talkshows.
Der Unterschied freilich ist groß: Das eine ist Zeitgeschichte, das andere Ideologie, bestenfalls Geplapper. Man sollte Menschen also reden lassen und gut zuhören, denn mit Worten entlarven sie sich. Im Guten wie im Schlechten: Wer darauf besteht, „Asylantenheim“ zu sagen, hat bestimmt eine sehr eigene Sicht auf die aktuelle Flüchtlingssituation. Welche das ist, lässt sich vermuten. Eines aber zumindest ist gewiss: Er (oder sie) hat kein Problem damit, Neonazi-Jargon zu verwenden.