Meinung Recht, aber nicht gerecht
Nach einem Freispruch darf nicht erneut angeklagt werden. Die Gerechtigkeit bleibt im Einzelfall auf der Strecke.
Es war gedacht als ein Gesetz gegen „schreiendes Unrecht“. Doch das Bundesverfassungsgericht hat eben dieses Gesetz nun für verfassungswidrig erklärt. Und damit zum Ausdruck gebracht, dass es Konstellationen gibt, in denen eine Gesellschaft auch schon mal schreiendes Unrecht ertragen muss. Wenn nämlich besonders hohe und grundsätzliche Werte auf dem Spiel stehen. Rechtlich ist das nachzuvollziehen. Und doch nur schwer zu ertragen.
Der Fall, der zu dem (nun kassierten) Gesetz geführt hatte, zeigt schmerzlich, um was es geht. Ein wegen Mordes an einem Mädchen Angeklagter wird freigesprochen. Aus Mangel an Beweisen. Jahrzehnte später ist die Kriminaltechnik jedoch so weit, mittels Genanalyse nachzuweisen, dass sich Spuren des Freigesprochenen an der über die Jahre aufbewahrten Kleidung des Tatopfers finden. Jetzt könnte man ihn überführen. Die Justiz darf ihn aber nicht anklagen und verurteilen. Denn grundgesetzlich ist das erneute Vor-Gericht-Stellen eines rechtskräftig Freigesprochenen verboten. Mit dem Gesetz sollte eben diese Verfassungslage in Fällen von Mord und Völkermord geändert werden. Aber dazu kommt es nun nicht.
Es gibt in der Tat gewichtige Argumente, dass die Akten in einem solchen Fall geschlossen bleiben. Denn andernfalls würde jeder Freispruch nach einem Mordvorwurf zu einem Freispruch unter Vorbehalt. Freigesprochene müssten damit rechnen, jederzeit wieder vor Gericht gestellt zu werden. So war es in der Nazizeit. Das Grundgesetz wollte und will verhindern, dass bereits abgeurteilte Taten immer wieder zum Gegenstand von Gerichtsverfahren werden.
Es stimmt ja: Die Rechtskraft, das Sich-Verlassen-Können auf ein Urteil und der so gewährleistete „Rechtsfriede“ sind wichtig in einem Rechtsstaat. Doch dem Vertrauen eines im Mordprozess Freigesprochenen wird damit der Vorrang vor der Gerechtigkeit im Einzelfall eingeräumt. Was ist mit der Hoffnung der Angehörigen des Opfers auf diese Gerechtigkeit? Die bleibt in solchen Fällen auf der Strecke.