Burscheid. Herr Küchler, wie beurteilen Sie die Perspektiven der Stadt in den kommenden zehn Jahren?Ernst Küchler: Die Stadt befindet sich in einem rasanten Veränderungsprozess, der mit dem Wort Strukturwandel, der sich ja vorwiegend auf ökonomische Prozesse bezieht, nicht abschließend beschrieben ist. Das, was sich aus der früheren Gleichung "Leverkusen ist gleich Bayer" entwickelt hat, verändert sich und das hat Auswirkungen auf alle Lebensbereiche, von der Kultur über den Sport bis zum Image der Stadt. Alle kommunalpolitischen Entscheidungen im Großen und im Kleinen müssen in diesem Kontext betrachtet werden. Über Jahrzehnte war das Bayer-Werk dominierend, es sicherte die Arbeitsplätze, teilweise über Generationen. Und der Konzern sorgte für eine sehr gute Infrastruktur, die wir heute noch weitestgehend haben. Seit zehn bis 15 Jahren aber verlieren Menschen das, was ihnen Sicherheit gegeben hat, diese Kontinuität. Das, was wir mit dem Bayer-Kreuz erlebt haben, war vielsagend. Die Menschen haben Angst, etwas in der Stadt zu verlieren. Wir, das heißt Politik und Verwaltung, müssen der Stadt daher eine neue Identifikationsbasis geben. Was passiert, wenn das Engagement von Bayer wie jüngst in einigen Sportbereichen zurückgefahren wird?Küchler: Die Beziehung zu Bayer ist traditionell sehr gut, weil wir sehr sensibel verfolgen, was dort passiert. Trotz mancher Veränderung bitte ich auch zu berücksichtigen, was bleibt und vor allem was neu entsteht. Es ist nach wie vor sensationell, wie sich Bayer für diesen Standort einsetzt. Nicht nur, dass der Konzern hier mit der neuen Konzernzentrale oder mit dem Erhalt des Bayer-Hochhauses als Medienstehle ein symbolisches Standortbekenntnis abgelegt hat - er hat auch eine mit zehn Millionen Euro dotierte Bildungsstiftung geschaffen. Dazu kommen 25 Millionen für den Fußball und das neue Stadion sowie zwölf Millionen für den Breiten- und Behindertensport. Das wird alles als selbstverständlich genommen. Auch dass Bayer das Kulturangebot auf diesem hohen Niveau erhält, finde ich bemerkenswert. Welche Rolle spielt die neue Bayarena als Sport- und Veranstaltungsstätte, die zur Saison 2009/2010 eröffnet wird?Küchler: Die Bayarena wird ja heute schon als Schmuckkästchen bezeichnet. In ihr finden nationale und internationale Wettbewerbe statt, was sich mit dem Ausbau sowohl in der Quantität als auch in der Qualität noch erweitern wird. Dazu gehört auch die Fußball-WM der Frauen, wenn Leverkusen Spielort wird, wovon ich ausgehe.
"Ich sehe in der Neuen Mitte keine Gefahren für den Einzelhandel, weder in der Stadt noch in der Region."
Stichwort Neue Mitte. Was bringt sie für die Region und was bedeutet das neue Einkaufszentrum für den regionalen Einzelhandel?Küchler: Ich sehe in der Neuen Mitte keine Gefahren für den Einzelhandel, weder in der Stadt noch in der Region. Das widerlegen sowohl das Einzelhandelsgutachten als auch die Erfahrungen in anderen Städten. Wir wollen zwei Dinge erreichen: zum ersten die Kaufkraft der Stadt und des Umlands in Leverkusen binden. Ich denke nicht, dass der Leverkusener Einzelhandel den Burscheidern etwas wegnimmt. Dafür gibt es die Nahversorgung in Burscheid. Es geht vielmehr darum, denjenigen zu erreichen, der heute noch zum Einkaufen nach Köln statt nach Leverkusen fährt. Die Neue Mitte ist ein Anziehungspunkt für Leverkusen und die Region mit einem Radius von 400 000 Einwohnern. Zum zweiten wollen wir die Mitte der Stadt auch attraktiver machen und das sowohl baulich als auch bezüglich der Funktionalitäten. Dort wird der Kernbereich des Rathauses versammelt, dort gibt es das Kino als Unterhaltungsstätte und die Bibliothek als Bildungsstätte. Es gibt eine Fülle von Anlässen, dort hinzugehen, dort zu verweilen und diese Mitte zu beleben. Jede Stadt braucht für die Bürger erkennbar eine Mitte. Da geht es auch um Identifikation.
Wie fällt die Bilanz der bisherigen Baufortschritte aus? Welche Rolle spielen die Verzögerung, die beim Abriss des Stadthauses eingetreten sind?Küchler: Die zeitlichen Verzögerungen sind minimal, das waren nur zwei Tage, an denen die Baustelle stillgestanden ist. Der Abriss des Stadthauses hat sich als komplizierter erwiesen als angenommen, weil die Architektur der 50er Jahren, was die Materialien angeht, nicht so einfach war und beim Abriss für Gefahren sorgte. Die Fachleute gehen aber davon aus, dass sich das beim Rathaus nicht wiederholen wird. Was den Gesamtplan mit dem Start 2009 oder 2010 angeht, war das nicht abschließend geklärt. Daher geht man bei ECE auf Nummer sicher, wenn jetzt von 2010 gesprochen wird.
Wie ist der Stand beim zweiten großen städtebaulichen Projekt, der Bahn-Stadt Opladen?Küchler: Die Jahreszahl 2010 für die Regionale gibt ja schon eine Zeitlinie vor, zu der etwas sichtbar sein muss. Insgesamt wird es zur vollkommenen Realisierung sicher 15 bis 20 Jahre brauchen. Dabei entsteht ein neues Stadtquartier mit sehr komplexen Ansprüchen. Wir haben es mit einer Bahnbrache zu tun, wir müssen dort Gleise des Güterverkehrs verlegen, und wir sind jetzt in der entscheidenden Phase. Der städtebauliche Wettbewerb ist abgeschlossen, die Bürgerbeteiligung hat begonnen und man weiß, was dort entstehen soll. Jetzt kommen die wichtigen Entscheidungen. Die Zuschüsse des Landes sind bis zu einer Höhe von sechs Millionen bereits bewilligt. Im Januar fällt nun eine Entscheidung, nach der es kein Zurück mehr gibt. Das betrifft den Startschuss für die Gleisverlegung. Gleichzeitig wird damit das elektronische Stellwerk für die Strecke von Rotterdam in den Süden installiert, ein eigenes Projekt der Bahn mit erheblichen Mitteln, die investiert werden müssen. Das bedeutet, dass dann alles festgelegt ist, auch mit allen noch möglichen Risiken eines solchen Großprojektes. Hier müssen wir nun dem Rat bei der Sondersitzung am 21. Januar eine Entscheidung abverlangen. 2008 werden die ersten Hallen abgerissen und die ersten Grünflächen entstehen für das grüne Kreuz.
"Wir wollen die Kletterhalle im großen Kesselhaus auf der Mitte des Geländes integrieren. Das wäre dann die größte interne Kletterhalle Deutschlands."
Wie sieht die Zukunft der Kletterhalle "A-Werk" innerhalb der Bahn-Stadt aus?Küchler: Wir wollen die Kletterhalle, wenn das mit dem Betreiber klappt, im großen Kesselhaus auf der Mitte des Geländes integrieren. Das wäre dann die größte interne Kletterhalle Deutschlands. Wir wollen auch andere bestehende Dinge wie das kleine Handwerkerzentrum erhalten und weiter ausbauen. Das gilt auch für das Kulturausbesserungswerk, wofür die Mittel schon bewilligt sind.
Ein weiteres Projekt in der aktuellen Diskussion ist die dritte Gesamtschule für Leverkusen. Wie schätzen Sie hier die Bedeutung für die Region ein?Küchler: Eine Mehrheit im Rat will die dritte Gesamtschule. Jetzt müssen die Voraussetzungen geprüft werden, was die Nachfrage und die Finanzierung betrifft. Ich persönlich bin seit vielen Jahren ein Befürworter der Gesamtschule. Das drei- bzw. fünfgliedrige Schulsystem trifft eine Auswahl zu einem Zeitpunkt, der keine seriösen Aussagen über Kinder und ihre Zukunft erlaubt. Das sind sehr endgültige Entscheidungen über das Schicksal von Kindern. Das bisherige System ist auch ökonomisch nicht mehr tragfähig. Das bedeutet aber nicht, dass wir in Leverkusen jetzt das gegliederte Schulsystem abschaffen wollen. Das können wir gar nicht und das wäre auch töricht, da wir gerade bei den Gymnasien eine exzellente Schullandschaft haben. Auch beim Offenen Ganztag sind wir noch nicht am Ende. Es geht uns bei der dritten Gesamtschule um die Frage der Chancengleichheit und der ökonomischen Leistungsfähigkeit des Bildungssystems. Das ist gerade beim Strukturwandel in der Stadt sehr wichtig. Wir können nicht warten bis in zehn Jahren keine Eltern mehr ihre Kinder zur Hauptschule anmelden.