Forschung in Düsseldorf So kann Schule besser werden

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 „Auch einfache Änderungen im Schulsystem könnten große Wirkung erzielen“, sagt Daniel Kamhöfer.

„Auch einfache Änderungen im Schulsystem könnten große Wirkung erzielen“, sagt Daniel Kamhöfer.

Foto: Anne Orthen (orth)

Die Zahlen sind alarmierend: Laut letzter Pisa-Studie haben fast 25 Prozent aller Schülerinnen und Schüler der neunten Klasse massive Lernlücken. Die 15-Jährigen weisen Defizite in Rechnen, Schreiben und Lesen auf, können Texte nicht verstehen und interpretieren. Im internationalen Vergleich findet sich Deutschland deshalb auf Platz 30 (und im Mittelfeld aller OECD-Länder) wieder. „Das ist auch deshalb dramatisch, weil Bildung nicht nur das einzelne Schicksal beeinflusst, sondern langfristig auch die Basis für das Wirtschaftswachstum ist“, sagt der Düsseldorfer Ökonom Daniel Kamhöfer. Seine Botschaft: Auch einfache Änderungen im Schulsystem könnten große Wirkung erzielen.

Von einer Klatsche für das deutsche Bildungssystem war nach der Pisa-Studie auch aus einem zweiten Grund die Rede: Das Bildungsgefälle zwischen Arm und Reich, oder wie Daniel Kamhöfer das formuliert „zwischen bildungsnahem und bildungsfernem Umfeld“ sei erschreckend. Denn schulische Leistung ist nun mal häufig von sozialen Faktoren abhängig, von Herkunft, Bildung und Geld der Eltern. Sein Fazit: „Wir schaffen es im deutschen Schulsystem einfach nicht, benachteiligte Kinder ausreichend zu fördern.“

Einen Grund dafür sieht er in der frühen Differenzierung nach vier Jahren Grundschule. Wer danach zur Hauptschule geht, für den sei es extrem schwierig, sich hoch zu kämpfen. Die Erfahrung in anderen Ländern habe dagegen gezeigt, dass ein längerer gemeinsamer Unterricht oder überhaupt nur eine weiterführende Schulform bis zur Oberstufe (wie in Schweden und Finnland) schwache Schüler fördert, ohne die guten Schüler zu benachteiligen. „Die Besten werden im gemeinsamen Unterricht mit Schwächeren nicht runtergezogen“, so der Wissenschaftler. Dass eine so umfassende Schulreform (oder eine leistungsbezogene Bezahlung von Lehrern wie in den Niederlanden und England) in Deutschland möglich wäre, dafür sieht Daniel Kamhöfer allerdings kaum Chancen.

„Es gibt so viele Akteure im Bildungssystem mit unterschiedlichen Interessen. Was immer man ändern will, Widerstand ist sicher.“ Also, einfach weiter so wie bisher? Nach Einschätzung des Wissenschaftlers würden schon kleinere Lösungsansätze für Verbesserung sorgen – und dabei hat er ein ganz konkretes Handlungspaket im Blick: „Lions Quest – Erwachsen werden“, eine internationale Initiative des Lions Club, die seit vielen Jahren und in über 100 Ländern ein Ziel verfolgt: „Lebenskompetenzen zu vermitteln und Kinder in der positiven Entwicklung ihrer Persönlichkeit zu unterstützen“.

Dieses Förderprojekt soll dazu beitragen, dass Kinder lernen, sich Ziele zu setzen, verantwortlich zu handeln und Selbstkontrolle zu trainieren. „Dazu ist es kostengünstig und einfach umzusetzen“, so Kamhöfer. Denn dafür müsste das Programm lediglich eine Stunde pro Woche (ein halbes Jahr lang) auf dem Stundenplan stehen. Was dabei im Unterricht passiert, erörtert der Wissenschaftler an einem simplen Beispiel: der Ampel. „Nehmen wir mal an, ein Kind hat Ärger in der Schule, hat gerade eine schlechte Note bekommen oder wurde nicht in die Schulmannschaft gewählt, dann bekommt es das Signal „Rot“, das bedeutet: innehalten, durchatmen, eine Nacht darüber schlafen.“ Die nächste Phase (Gelb) steht für: nachdenken, Optionen und Konsequenzen überlegen. Um schließlich (Grün) eine durchdachte Entscheidung zu treffen.

Doch wie effizient sind solche Programme? Die Frage führt um den halben Globus nach Bangladesch, Nachbarstaat von Indien. Dort ist ein Forschungsprojekt der Uni Düsseldorf (gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft mit 780 000 Euro) angesiedelt – mit Partnern vor Ort und in Kooperation mit dem Lions Club. Wieso Bangladesch? „Dort herrscht ein großer Nachholbedarf in Sachen Bildung, hoher Reformwille und geringere bürokratische Hürden“, so Kamhöfer.  135 Schulen wurden gemeinsam mit der Schulbehörde für die Studie auserwählt. Mithilfe des Förderprogramms sollten die Jungen und Mädchen Fähigkeiten wie Geduld, Selbstkontrolle und soziales Verhalten üben.

Das Ergebnis: Kinder, die an dem Projekt teilnahmen, können ihre Gefühle tatsächlich besser beherrschen und verhalten sich sozialer anderen Kindern gegenüber. Und: Sie wurden nicht nur besser im Unterricht, sondern konnten das Erlernte auch besser verwerten. In einem nächsten Schritt wollen die Wissenschaftler (beteiligt daran sind weitere Universitäten) ergründen, warum das Programm erfolgreich ist. Haben beispielsweise die Lehrer andere Unterrichtsmethoden praktiziert? Oder sind die Kinder durch die Förderung einfach motivierter?

Zurück in Deutschland: Auch hier nutzen einige Schulen bereits „Lions Quest“ oder ähnliche Angebote – „auf freiwilliger Basis und es sind eben viel zu Wenige“. Neben der Förderung der einzelnen Kinder, sieht Daniel Kamhöfer auch einen gesellschaftlichen Effekt: Der Bund gibt jährlich über 9000 Euro pro Schüler aus, und die Kosten steigen jedes Jahr. Immer mehr Geld aber habe nicht zu besserer Schulbildung geführt, so Kamhöfer. „Deshalb brauchen wir dringend neue Konzepte.“