Düsseldorfer Geschichte Die Geburtsstätte der Flingeraner

Düsseldorf · Die Flurklinik war früher ein Krankenhaus nur für Frauen. Heute sind dort Wohnungen und ein Restaurant – und seit neuestem gibt es auch eine Stele für den Rundweg „Flinger-Pfad“, die an die Geschichte des Hauses erinnert.

 Die ehemalige Flurklinik ist inzwischen ein normales Wohnhaus mit einer Gaststätte im Erdgeschoss.

Die ehemalige Flurklinik ist inzwischen ein normales Wohnhaus mit einer Gaststätte im Erdgeschoss.

Foto: Marc Ingel

Ein imposantes und historisch bedeutsames Gebäude an der Ecke Flurstraße/Degerstraße wurde am 14. Juni 1910 eröffnet: die „Frauenklinik an der Flurstraße“, abgekürzt auch Flurklinik genannt. Bei der Einweihung trug das Gebäude allerdings noch den Namen „Wöchnerinnen-Asyl“ (eine Wöchnerin ist eine Frau in den ersten sechs bis acht Wochen nach der Geburt). Jedenfalls: Tausende Düsseldorfer haben dort das Licht der Welt erblickt, und wer dort geboren wurde, durfte sich voller Stolz zurecht als „echtes Flingeraner Kind“ bezeichnen.

Bereits in den 1880er Jahren hatte es an der Grafenberger Allee eine ähnliche Einrichtung gegeben, um Frauen und Kindern bei der schwierigen Phase der Geburt unterstützend zur Seite zu stehen. Nach einigen Umzügen und mit der Hilfe einer gemeinnützigen Stiftung sowie engagierter Bürger konnte dann die Klinik errichtet werden, wie der Historiker Kaspar Michels bei seinen Recherchen herausgefunden hat. Architekt des Gebäudes war der Düsseldorfer Ernst Roeting, der in der Stadt viele Industriebauten, etwa die „Alten Farbwerke“ an der Ronsdorfer Straße, gebaut hatte. Er war dabei nicht nur Architekt, sondern schuf als Künstler auch Stelen, Grabsteine und Skulpturen. 1986 wurde der gesamte Baukomplex in die Denkmalliste eingetragen. Als die Flurklinik, die 1977 mit dem Augusta-Krankenhaus fusioniert hatte, 2002 endgültig geschlossen wurde, gab es dort nur noch eine Klinik mit dem Spezialgebiet Gerontopsychiatrie, die ging dann über in die größere Klinik Ellbroich. Loftwohnungen und Gewerbeeinheiten entstanden. Im Souterrain erinnerte bis zum Herbst 2022 der Gastronomiebetrieb „Flurklinik“ an die alte Bestimmung des Hauses. Bis heute sind an der Fassade die Muschelkalkfiguren der Störche und die Kinderskulpturen von Hermann Nolte zu erkennen. Ein düsteres Kapitel der Flurklinik darf an dieser Stelle nicht verschwiegen werden. Während der NS-Diktatur wurden im Zuge der sogenannten „Rassenhygiene“ in Düsseldorf Tausende Menschen Opfer einer Zwangssterilisation. In diesem Kontext lohnt ein Blick in die Vergangenheit, um die Rolle der Frau zu Beginn der Industrialisierung im 19. Jahrhundert zu beleuchten. Kurzum: Frauen waren weitgehend rechtlos. Sie wurden weder als Staatsbürgerinnen noch als „freie Lohnarbeiterinnen“ anerkannt, hatten kein Wahlrecht und durften keine öffentlichen Ämter ausüben. Verheiratete Frauen waren nicht geschäftsfähig und durften auch nicht frei über ihren Verdienst verfügen. Da aber das Einkommen, das die Männer aus den Fabriken mit nach Hause brachten, oft nicht ausreichte, arbeiteten viele Frauen, Mütter und auch Kinder in den Betrieben, um die Existenz der Familien zu sichern. Die Arbeit von Frauen war bei den Fabrikanten sogar sehr beliebt, denn sie waren belastbar und ihr Lohn lag deutlich unter dem der männlichen Kollegen. Auch Mädchen arbeiteten oft schon im Kindesalter mit. Die Arbeit in Webereien und metallverarbeitenden Fabriken war hart. Frauen wie Männer schufteten nicht selten bis zu 16 Stunden lang. Auch Schicht- und Nachtarbeit waren normal. Arbeitskleidung und Sicherheitsschutz, Unfallversicherung und Altersversorgung, Umwelt- und Kündigungsschutz waren bis zu den bismarckschen Sozialgesetzen im Laufe der 1880er Jahre weitgehend unbekannt. Besonders schwer war das für schwangere Frauen und junge Mütter. Obwohl in der Reichsgewerbeordnung 1878 eine Art „Mutterschutz“ festgelegt wurde, waren die Frauen nach der Geburt weder vor Kündigung geschützt, noch bekamen sie ihren Lohn weiter bezahlt. Um dem zu entgehen, gingen viele Frauen sofort nach der Niederkunft wieder zur Arbeit. Nicht nur die Säuglingssterblichkeit, auch die Todesrate bei den Geburten waren damals für Mutter und Kind hoch. Pflegeeinrichtungen, Entbindungskliniken oder eben Asyle für Wöchnerinnen entstanden erst gegen Ende des 19. Jahrhunderts. Diese Einrichtungen wurden nicht im Rahmen einer staatlichen oder kommunalen Daseinsvorsorge in der Trägerschaft von Städten gebildet, sondern von Vereinen, Kirchen, Ordensgemeinschaften, privaten Stiftungen und wohltätigen Bürgern.

Neben der von einer gemeinnützigen Stiftung getragenen Geburtsklinik an der Flurstraße arbeiteten in Flingern das evangelische Dorotheenheim und der Orden der „Töchter vom Heiligen Kreuz“ im Kloster mit den sogenannten „gefallenen Mädchen“. Das waren meist junge Frauen, die den damaligen bürgerlichen Moralvorstellungen nicht entsprachen. Erst 1952 wurde in Deutschland ein „Mutterschutzgesetz“ verabschiedet, das in den Grundzügen noch heute gilt.