Düsseldorfer Schüler forschen in Ötztaler Alpen „Der Gletscher war teilweise in weiße Folie eingepackt“

Düsseldorf · An Gletschern und Ski-Pisten haben Schüler des Wim-Wenders-Gymnasiums die Auswirkungen des Klimawandels hautnah erlebt.

Felice Kocyigit, Julian Vosgerau, Jolie Koseruk, Jakob Szallies, Anna-Lena Kober und Lehrer Tim Niederberghaus (v.l.).

Foto: Tim Niederberghaus

Seitenmoräne, glaziale Form, Gletscherzunge – kennen Sie diese Fachbegriffe? Als sich ein paar Schüler des Wim-Wenders-Gymnasiums Anfang August auf die Reise ins Ötztal begaben, waren das für sie noch Fremdworte. Gemeinsam mit ihrem Lehrer Tim Niederberghaus nahmen fünf Schüler an einer einwöchigen Abenteuerexkursion teil. Das Ziel: Den Geografie-Unterricht sinnvoll ergänzen und ein tieferes Verständnis für den Klimawandel und dessen Folgen bekommen.

Lehrer Tim Niederberghaus selbst war an der Entwicklung des Konzepts beteiligt. „Als ich noch Geografie-Student an der Ruhr-Universität Bochum war, war André Baumeister mein Dozent“, sagt er über den Leiter der Exkursion. „Ich war damals mit ihm in den Alpen, genau in diesem Tal, genau in diesen Hütten.“ Mit GPS-Geräten seien sie vor neun Jahren losgezogen, ins Ötztal zum Gurgler Ferner, hätten Routen gelegt. Baumeister habe damals mit seinen Studierenden überlegt, was man mit Schülern sinnvoll in dem Gebiet unternehmen könne. „Wir haben uns alles zur Gletscherkunde angeschaut: Woran man erkennen kann, wie hoch die Gletscher beim letzten Höchststand gekommen sind, wie weit sie sich in den vergangenen 170 Jahren zurückgezogen haben und welchen Einfluss das auf den hochalpinen Raum hat.“

Im Kernlehrplan für NRW ist das Thema Gletscher nicht verankert

Den Kontakt zu seinem ehemaligen Dozenten habe Niederberghaus nie verloren. Während er selbst Geografie-Lehrer wurde, machte Baumeister sich mit einer Firma für Abenteuerreisen selbstständig. Das rief Niederberghaus‘ Fachinteresse hervor – im Kernlehrplan für NRW seien Gletscher zwar nicht verankert, doch die Unterstützung der Schule ermöglichte es fünf Schülern, an der außergewöhnlichen Exkursion teilzunehmen.

Im August war es dann soweit. Nach einem kurzen Impuls-Vortrag von Baumeister zur Entstehung der Alpen ging es am ersten Tag 600 Höhenmeter mit der Gondel aufwärts, wo die Schüler einen Ausblick auf das Rotmoos- und Langtal und deren Ferner bekamen. Es folgte eine digitale Schnitzeljagd, bei der sie Pflanzen fotografierten, Fundorte notierten und im Nachgang per App bestimmen ließen. Fragestellung: Was taucht wo noch auf – und was nicht mehr? Auch das Moor haben sich die Schüler genauer angeschaut und anhand der Abbruchstellen die einzelnen Schichten zeitlich bestimmt. „Das Moor gibt Aufschlüsse darüber, wie die Vegetation vor fünf- bis sechstausend Jahren war“, erklärt Niederberghaus. Damals habe es in der Höhe beispielsweise viel mehr Bäume gegeben. „Das sind Kleinigkeiten, die als Klimazeiger dienen.“

In den folgenden Tagen wanderte die Gruppe weiter durch das alpine Gebiet, Tag zwei kennzeichnete den ersten richtigen Aufstieg ins Hochgebirge, bei dem die Schüler 500 Höhenmeter zurücklegten. „Die Schüler sind physisch wie mental an ihre Grenzen gekommen. Die galt es zu überwinden“, so der Lehrer. Auf 2450 Meter Höhe erfolgte die Ankunft an der Langtaler Hütte. Eine Bewirtung gab es während der Exkursion nicht immer: Auch eine Selbstversorgerhütte war Teil der Reiseroute. „Es gab keinen Strom, kein Licht, kein Wasser“, berichtet Niederberghaus. Nudeln und Pesto brachten sie selbst mit. „Das Wasser mussten wir uns vom Schnee, der übrig war, holen und abkochen.“ Ein zum Pfadfinder ausgebildeter Schüler hackte mit einer Axt Brennholz, erst dann gab es das verdiente Abendessen. Mit Spikes ging es an den folgenden Tagen über blankes Eis, um mittels GPS-Gerät eine Gletscherzunge zu kartieren.

Zwei prägende Erlebnisse verdeutlichten der Schülergruppe den Klimawandel ganz besonders: Mit GPS-Daten von 2003 machten sie sich auf den Weg zu einem weiteren Gletscher – nur um zu merken, dass der nicht dort begann, wo die Daten ihn verorteten. Stattdessen mussten sie weitere zehn bis 15 Minuten laufen, um die Gletscherzunge zu erreichen. Die Erkenntnis kam schnell: „Vor 20 Jahren war der Gletscher noch 43 Meter höher und mehrere Hundert Meter weiter“, so Niederberghaus. „Das hat die Erwartungen der Schüler leider im negativen Sinne nochmal übertroffen.“

Auch ein Abstecher ins Skigebiet Sölden blieb hängen. Dort befindet sich auf mehr als 3000 Metern der Rettenbachferner. Von weißer Gletscheridylle war jedoch wenig zu sehen: „Der Gletscher war teilweise in weißer Folie eingepackt, damit er nicht abschmilzt im Sommer“, erzählt der Geografie-Lehrer. Auch wurden Teile abgetragen, als Schneedepot für die Piste. „Es ist so absurd, wie es klingt. Man macht ja heutzutage alles für den Ski-Tourismus.“ Im Minutentakt seien Lkw mit abgebaggertem Gestein hin- und hergefahren wegen Bauarbeiten an der Piste. Für die Schüler sei das ein einschneidendes Erlebnis gewesen: „Erst haben sie die Schönheit der Alpen gesehen und dann fahren sie dahin, wo alles dafür getan wird, dass Leute noch Ski fahren können.“ Die Exkursion bewertet Niederberghaus dennoch als vollen Erfolg: „Ich habe das Gefühl, dass den Schülern das Erlebte sehr ans Herz gewachsen ist.“ Auf fachlicher Ebene hätten sie etwas dazugelernt und für ihr Selbstbewusstsein.