Düsseldorf EMS-Training: Was bringt Sport unter Strom?
Düsseldorf. WZ-Reporterin Juliane Kinast testet acht Wochen lang das EMS-Training in der Stromschmiede.
Und plötzlich haben die Muskeln ihren eigenen Willen. Unbeweglich verharren die Arme vor dem Körper, in den Händen zwei Schaumstoffbälle. Doch innendrin vollführt der Bizeps Bewegungen, als wäre er in eine Teigrührmaschine geraten. Zieht sich zusammen, dehnt sich wieder aus, scheint zwischen Ellbogen und Schulter Wellen zu schlagen. Gleichzeitig fängt es auch im Bauch an zu flattern, ein fieses Kribbeln zieht durch Gesäß und Beine. Es kommt von den Stromstößen, die durch Kabel und Elektroden in den nassen Anzug und dann durch die Haut direkt in die Muskeln schießen. Und diese angeblich in kürzester Zeit größer, fitter, stärker machen.
Das Elektromyostimulationstraining — kurz EMS — kam in Deutschland um die Jahrtausendwende auf. Inzwischen erlebt Düsseldorf einen regelrechten Hype. Zahlreiche neue EMS-Studios haben in der jüngeren Vergangenheit eröffnet. Die „Stromschmiede“ an der Schloßstraße gibt es seit zwei Jahren, Sport- und Fitnesskaufmann Tim Koritki hat sie jetzt übernommen. Der Profi ist Personal Trainer, hat jahrelang in der Firmenfitness bei Daimler gearbeitet und ist vom EMS-Konzept überzeugt. Bei ihm wird WZ-Reporterin Juliane Kinast acht Wochen lang testen, was es wirklich bringt.
„Ganzkörpertraining in nur
20 Minuten die Woche“
Die Stromschmiede ist ein kleines Ladenlokal — gemütlich schick mit Holzfußboden, zwei Kabinen hinter schwerem Stoff, zwei Stühle und eine lackierte Europalette als Tisch, auf der eine Wasserkaraffe steht. Ansonsten ein Crosstrainer und ein kleiner Tisch mit dem „Amplitrain“ — dem EMS-Gerät. Sozusagen Tim Koritkis Partner. In einer Ecke hängen schwarze Anzüge aufgereiht. Eine Mischung aus Boutique und Tauchschule. Auf keinen Fall wirkt es wie ein Fitnessstudio. Höchstens das Poster an der kleinen Empfangstheke, das verspricht: „Ganzkörpertraining in nur 20 Minuten die Woche“. Eine in der Tat elektrisierende Idee.
Aber auch eine abgefahrene. Das weiß Tim Koritki: „Jeder ist am Anfang skeptisch.“ Wegen des Stroms. Und des Wassers. „Wir machen ja auch noch den Anzug nass, damit es besser leitet“, erklärt er — und nährt das Gefühl, sich hier völlig freiwillig einer Prozedur ergeben zu wollen, die laut Genfer Menschenrechtskonvention als weiße Folter klassifiziert werden müsste.
Für die geht es erst einmal hinter den Vorhang, raus aus den eigenen Klamotten und hinein in die Trainingsunterwäsche. Schwarzes Langarmshirt, schwarze Radlerhose. Dann hilft der Trainer beim Hineinzwängen in den knallengen, feuchten Anzug. Reißverschluss zu, Kabel rein. „Wenn ich jetzt aufdrehe, spürst du schnell ein leichtes Kribbeln“, verheißt der 32-Jährige. Und tatsächlich breitet sich das ganz fix unter den Elektroden an Beinen, Po, Rücken, Bauch, Schultern und Oberarmen aus.
Am Ende behauptet der Körper, ganz schön was getan zu haben
„Der Körper kommuniziert ja über elektrische Reize“, erklärt Koritki. „Und beim EMS-Training wird der Muskel direkt angesprochen. Dadurch kontrahiert er viel schneller als gewöhnlich.“ Anstatt wie in der herkömmlichen Muckibude Gewicht aufzulegen, dreht Tim Koritki ein bisschen am Rad und erhöht die Frequenz.
Zwischendurch gibt es kurze Pausen, bei denen es schnell in eine neue Position — Arme nach vorne hochgestreckt, tiefer Ausfallschritt oder in der Mitte zusammengezogen wie bei einem Sit-up — geht. Denn wenn der Impuls dann erst mal wieder kommt, lässt das Eigenleben des zuckenden Muskels kaum mehr eine kontrollierte Bewegung zu. Mal walkt dabei der Bizeps mehr, mal flattert der Bauch stärker. „Ich kann die Elektroden alle separat steuern“, erklärt der Trainer.
Bis auf 60 Prozent dreht Tim Koritki in diesen ersten 20 Minuten hoch. Die letzten 60 Sekunden sind ein Hagel konzentrierter Stromstöße. Tim Koritki lacht über zusammengekniffene Lippen und Augen — das kennt er. Aber passieren könne nichts: „Das Gerät ist medizinisch zugelassen. Wenn irgendwo nur eine Elektrode locker sitzt, bricht es das Training sofort ab.“
Als die Kabel ab sind, empfiehlt Koritki, das Training nicht öfter als ein- bis zweimal pro Woche zu wiederholen. „Es ist hochintensiv“, betont er. Auch deshalb sei es sowohl bei Kraftsportlern als auch bei berufstätigen mittelalten Damen mit straffem Terminkalender beliebt. Mal sehen was die kommenden acht Wochen im WZ-Test bringen. Der Weg zum Auto bringt in der Tat eine stumpfe Erschöpfung in den Schenkeln. Richtigen Muskelkater, hat der Trainer versprochen, wird’s mit der Frequenz seines EMS-Gerätes nicht geben. Aber der Körper behauptet schon, ganz schön was getan zu haben. Dabei stand der die meiste Zeit bloß da — aber er stand eben unter Strom.