Engländer besucht acht EM-Spiele „Meine Kollegen denken bestimmt, dass ich ein bisschen extrem bin“
Düsseldorf · Fußballfan Jack Kennedy aus England ist wochenlang in Deutschland, um ein EM-Spiel nach dem anderen zu sehen. Sein Arbeitgeber hat ein Büro in Düsseldorf, daher musste er nicht einmal Urlaub nehmen. Über einen Fußballverrückten auf Reisen.
Es ist nicht seine erste Turnierreise. Jack Kennedy aus London hat die Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen erlebt, bei der WM 2014 in Brasilien war er vor Ort, 2016 begleitete er das englische Team zur EM nach Frankreich, in Russland war er 2018 für ein Spiel. Die Corona-Pandemie durchkreuzte 2020 seine Pläne – statt nach Bukarest zu fahren, blieb er für die Spiele der Engländer in London. Nun ist er wieder am Start: Zweieinhalb Wochen Deutschland, acht EM-Spiele. Dazwischen geht er arbeiten. Jack Kennedy verbindet Workation (also Arbeiten auf Reisen) mit seiner Leidenschaft Fußball. Die englische Fußballvereinigung hat eine Art Reise-Club. Mitglieder bekommen bevorzugten Zugriff auf Tickets für Qualifikations- und Freundschaftsspiele und sammeln Treuepunkte. Mit ihnen steigt die Chance auf Tickets für die England-Spiele bei Turnieren. Für noch mehr Eintrittskarten musste Kennedy den Weg über die Uefa nehmen. „Ich habe mich für eine fast schon verrückte Menge Spiele angemeldet, aber erst nichts bekommen, wie so viele“, erzählt er. Über das Nachrückverfahren hat es dann doch geklappt – gleich acht Mal. Für Kennedy ein großer Spaß: „Es ist wie eine große Fußball-Party, so viele Menschen aus verschiedenen Ländern kommen zusammen.“
Die Reiselogistik ist zuweilen
sehr herausfordernd
Urlaub musste er sich für die Fußballreise nicht nehmen. Kennedy ist Ökonom und arbeitet für eine große Internet-Jobbörse. „Mein Arbeitgeber hat glücklicherweise ein Büro hier in Düsseldorf. Da wir hauptsächlich remote arbeiten, war es kein Problem, für zwei Wochen mein Leben für diese Zeit nach Deutschland zu verpflanzen.“ So trifft er auch Kollegen, die er vorher nur digital kannte. In seinem Arbeitsumfeld ist Kennedy einer der wenigen Fußballfans. „Meine Kollegen denken bestimmt, dass ich ein bisschen extrem bin – aber das stimmt ja irgendwie auch!“
England gegen Serbien hat er gesehen, Frankreich gegen Österreich, Türkei gegen Georgien und England gegen Dänemark. Abends im Stadion, morgens wieder zu Meetings an den Computer – es sei schon eine Herausforderung, den Arbeitsalltag mit den Spielen in Einklang zu bringen, gesteht er. „Ich muss mich schon manchmal daran erinnern, dass ich momentan nicht im Urlaub bin.“
Ein bisschen bereut er, dass er Tickets für so viele Spielorte hat, zwischen denen teils mehrere hundert Kilometer liegen. „Ich wohne zurzeit in verschiedenen Hotels, je nachdem, wo die Spiele stattfinden. Es ist wie ein kleiner Roadtrip.“ In Köln kam er an, dann ging es nach Oberhausen, ein paar Tage Düsseldorf und dann Frankfurt: „Ich habe mich vielleicht ein bisschen hinreißen lassen, hatte die Logistik nicht ganz so sehr im Kopf, als ich die Stadionbesuche geplant habe.“ Weil er mit dem Auto da ist, kann er etwas flexibler bleiben.
Trotzdem hat die Deutsche Bahn Kennedy schon einen Strich durch die Rechnung gemacht. „Das Spiel Ukraine-Slowenien hier in Düsseldorf habe ich verpasst – der Zug aus Frankfurt, wo das englische Team gespielt hatte, kam mit drei Stunden Verspätung. Also bin ich in Köln ausgestiegen und habe den Stadionbesuch einfach abgehakt.“ Schön findet er dagegen die Stimmung unter den Fans: „Alle sind hier aus demselben Grund, alle wollen feiern – und alle lieben Fußball. Es gibt interessante Gespräche, schöne Begegnungen.“
Sind andere Fans neidisch, weil er so viele Tickets bekommen hat? „Das kann schon sein, dass es Leute gibt, die pikiert reagieren. Auf der anderen Seite habe ich ja auch die Vorarbeit geleistet, hab all die Freundschaftsspiele besucht – die sind schon manchmal ein bisschen langweilig.“ Dass er jetzt zu so vielen Spielen gehen kann, sieht er als Belohnung dafür an.
Denn hier ist richtig was los. Verglichen mit der Stimmung in England, sei die Atmosphäre in den deutschen Stadien viel ausgelassener. Der hiesige Fußball habe es geschafft, eine Art Fankultur zu bewahren. „Ich war bei Bundesliga-Spielen in München und Dortmund, und es war schon mehr los in den Fankurven. In England kommen die Fans der großen Vereine oft einfach ins Stadion und erwarten Unterhaltung auf ganzer Linie – tragen aber nichts dazu bei.“
Und was ist mit den Kosten? Hotels, Verpflegung, die Reisen und natürlich auch die Tickets gehen sicher ins Geld. Kennedy nimmt dieses Thema mit Humor. „Das ist nicht der günstigste Trip, den ich gemacht habe. Aber es ist, wie es ist. Ich gebe aus, was ich ausgebe, um meine Kreditkartenabrechnung kümmere ich mich später. Und immerhin gibt es bei uns im Büro Lunch inklusive.“ Heute sieht er in Köln England gegen Slowenien; am Mittwoch in Frankfurt Rumänien gegen die Slowakei, dann noch ein Achtelfinale in Gelsenkirchen. Nach seinem letzten Spiel geht es für Kennedy direkt zurück nach Hause. „Es gibt noch eine kleine Möglichkeit, falls England nicht rausfliegt, dass ich Tickets für das Finale bekomme. Dann würde ich zurückkommen.“ Die nächste Fußballreise ist aber schon in Planung: 2026 will er zur Weltmeisterschaft in die USA und nach Kanada. Zum Schluss die wichtigste Frage: Wer wird Europameister? „Deutschland. Auf die habe ich auch gewettet.“