Neuberger-Medaille für Marie-Agnes Strack-Zimmermann „Demokratie ist kein Lieferservice“
Düsseldorf · Kritisch sein und den Mund aufmachen, wenn das Leben, Freiheit und Menschenwürde in Gefahr sind. Unter dieser ungenannten Überschrift stand die Verleihung der Josef-Neuberger-Medaille an Marie-Agnes Strack-Zimmermann, Bundestagsabgeordnete und Vorsitzende der Düsseldorfer FDP, durch die Jüdische Gemeinde an diesem Donnerstagabend.
Sie bekannte gegen Ende ihrer Dankesrede: „Demokratie ist kein Lieferservice. Unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung lebt von Beteiligung und überlebt nur, wenn wir gemeinsam wehrhaft sind und Anstand auch außerhalb der vier Wände leben und einfordern.“ Haltung zu haben, werde nur wirken, wenn wir uns auch entsprechend verhielten. Laudator Hape Kerkeling lobte die Düsseldorferin für ihre Überzeugungen und ihren Mut, er hält sie für einen „großartigen Menschen, den ich sehr bewundere“.
Den Krieg in der Ukraine gab es schon, als die Jüdische Gemeinde der liberalen Politikerin die Auszeichnung annoncierte – den Hamas-Terror gegen die israelische Zivilbevölkerung vom 7. Oktober noch nicht. Dass beide Kriege an diesem Abend den Takt vorgeben würden, war ausgemacht, aber noch mehr ging es der Geehrten und dem Laudator um den Zustand unserer Gesellschaft.
Damit waren sie der Idee der Verleihung nahe, denn die Neuberger-Medaille geht an Personen der nicht-jüdischen Öffentlichkeit, die sich um die jüdische Gemeinschaft besonders verdient gemacht haben. Die aktuelle Situation in Israel, die mit antisemitischen Äußerungen und dem Verbrennen der Israel-Fahne auch auf deutsche Straßen ausstrahlt, machte den Abend besonders – mit kritischer Reflexion, Solidaritätsbekundungen und Emotionen.
Spätestens seit dem 7. Oktober ist, so die Einschätzung Kerkelings, auch jüdisches Leben in Deutschland wieder existenziell bedroht. Das dürfe die deutsche Zivilgesellschaft nicht zulassen. Antisemitismus sei keine Meinung, sondern ein Angriff auf die Menschlichkeit. Mehrfach gab es für Sätze dieser Art in der Synagoge Applaus. „Wir müssen uns hier mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln wehren.“
Strack-Zimmermann sei eine Politikerin, die Antisemitismus nachhaltig bekämpfe und bereits vor ihrer bundesweiten Bekanntheit an Gedenkstunden für die Opfer der Shoah teilgenommen habe. „Ihre Geradlinigkeit, Ihre Offenheit und Ihr Mut in der politischen Debatte sind für mich vorbildlich“, sagte Kerkeling. „Wir alle wünschen uns mehr Menschen in diesem Land, die wie Sie für unsere demokratischen Werte eintreten.“
Kerkeling: Antisemitismus ist
ein Angriff auf die Menschlichkeit
Bei den Zustimmungswerten für die AfD gebe es nichts mehr kleinzureden, meinte Kerkeling, der rund 30 Jahre in Düsseldorf gelebt hat und 20 Jahre sein Büro in der Nähe der Synagoge hatte. „Es droht Gefahr und das gilt es zu erkennen. Staat und Gesellschaft hätten dieser zersetzenden Kraft im Schulterschluss früher und deutlicher entgegentreten müssen.“ Man habe unterschätzt, wie stark der Wille zur Zerstörung unserer offenen und freien Gesellschaft geworden ist. Der Wille zum Erhalt der Demokratie müsse stärker sein als der der Feinde.
Kerkeling lobte, dass Strack-Zimmermann den interreligiösen Dialog pflege, auch die junge Generation überzeugen will – und dass sie eine Politikerin sei, die zwar hier und da anecke, aber eine Situation durch Humor auch auflockern könne. Das sei genau das, was dieses Land brauche. Dass er dann in Horst-Schlämmer-Manier sagte „Zumindest ich sehe das so, Schätzelein“ sorgte für Entspannung und viele Lacher. Diese Art unterscheide sie „von so manchem konservativen Sauerländer“, schob Kerkeling in Richtung Friedrich Merz hinterher.
Strack-Zimmermann machte in ihrer Rede deutlich, dass sie wie Kerkeling die Demokratie bedroht sehe. Es sollte eine Selbstverständlichkeit sein, dass der Rechtsstaat durchgreife, meinte sie. Antijüdische Hetze, das erklärte sie vor dem Festakt, dürfe nicht bei Asylbewerbern mit der deutschen Staatsangehörigkeit belohnt werden. Ebenso kritisierte sie den von Forschern konstatierten Rückzug vieler Bürger ins Private, die Konzentration auf das eigene Wohlergehen, und fragte, wo denn die Mitte der Gesellschaft sei, wo die intellektuelle Elite.
Es komme in diesen Tagen zum Schwur, ob das Bekenntnis „Nie wieder“ zur Farce verkomme. „Und ob wir nicht nur hinter unseren jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern stehen, sondern uns auch sichtbar vor sie stellen.“ Wer, wenn nicht die Deutschen, die nicht jüdischen Glaubens seien, sollten aufstehen und ihre jüdischen Nachbarn schützen? „Wer sonst als wir Deutsche sollten es tun?“ Jedes „Ja, aber“, das den Hamas-Terror relativiere, sei nicht zu tolerieren. Weder auf der Straße noch beim Generalsekretär der Vereinten Nationen.
Die Explosion von Hass und Gewalt geht laut Strack-Zimmermann nicht nur die Menschen jüdischen Glaubens etwas an, sondern alle. Wo, wie gerade in Berlin geschehen, Judensterne an die Wohnungstüren von Juden gemalt werden, da könne jedermann für irgendetwas stigmatisiert und verfolgt werden.
Die Porträts von Mord- und Entführungsopfern des 7. Oktober hängen im Vorraum der Synagoge. Helfer der jüdischen Gemeinde trugen die Bilder auf ihren T-Shirts. Für die mehr als 1400 Opfer des Terrorüberfalls von 7. Oktober standen die Anwesenden zu Beginn der Veranstaltung auf Bitten von Oded Horowitz für eine Gedenkminute auf. Der Vorstandsvorsitzende der Jüdischen Gemeinde berichtete von besorgten Eltern, die überlegten, ob sie ihre Kinder in die Schule lassen sollen. Er erzählte von den Einrichtungen und Bauten und vom Wachstum der Jüdischen Gemeinde. Und er sagte angesichts des offenen Judenhasses auch in Düsseldorf: „Wir lassen uns nicht vertreiben.“