Interview „Es geht um die Frage, was uns zu einem Menschen macht“

Düsseldorf · Evgeny Titov inszeniert Bulgakows „Hundeherz“ – ein Stück über die dunkelsten Seiten des Menschseins.

 Schauspieler Torben Kessler spielt in Evgeny Titovs „Hundeherz“ die Rolle des „Polygraph Polygraphowitsch Lumpikow“, des Hundemenschen“.

Schauspieler Torben Kessler spielt in Evgeny Titovs „Hundeherz“ die Rolle des „Polygraph Polygraphowitsch Lumpikow“, des Hundemenschen“.

Foto: Thomas Rabsch

Ein Hund verwandelt sich in einen Menschen. Genauer: wird verwandelt, durch einen schillernden Medizinprofessor. So geschieht es in „Hundeherz“ von Michail Bulgakow. Zeit und Ort: Moskau der 1925er Jahre, als der noch junge Sowjet-Staat ein kommunistisches Terrorsystem etabliert, in dem individuelle Besonderheiten nicht geduldet werden. In dieser Zeit erzählt Bulgakow, den wir hierzulande durch „Meister und Margarita“ kennen, die Geschichte eines ‚Hundemenschen‘, der sich zum Alptraum für seinen Schöpfer entwickelt.

Der russische Schönheitschirurg Professor Filipp Filippowitsch Preobrashenski implantiert in einem Experiment dem streunenden Hund Lumpi die Hirnanhangdrüse und die Hoden eines kürzlich verstorben kleinkriminellen Alkoholikers. Zur Überraschung aller überlebt der Vierbeiner, gesundet, bekommt mehr und mehr menschliche Züge, geht aufrecht und beginnt zu sprechen. Doch er, der sich jetzt Polygraph Polygraphowitsch Lumpikow nennt, erbt auch die vulgären Manieren, Alkoholismus und andere negative Eigenschaften seines Spenders. Und verkehrt mit Kommunisten, die ihn gegen seinen Operateur und Wohngenossen aufwiegeln. Der „neue Mensch“ wird so unerträglich, dass der Professor an seine Grenzen stößt. Eine wahnwitzige Geschichte, die in Russland Kult ist, auch wegen berühmter Verfilmungen.

Jetzt bringt Evgeny Titov dieses satirische Opus, das die Kommunisten als „revolutionsfeindliche, ätzende Attacke auf gegenwärtige Verhältnisse“ auf die Schwarze Liste setzten, auf die Bühne im Central am Hauptbahnhof. Titov, von Hause Schauspieler und unruhig suchender Geist, lernte in zwei Jahren perfekt Deutsch und „nebenbei“ das Regie-Handwerk am ehrwürdigen Max Reinhardt-Seminar in Wien. Er hat am Akademietheater der Wiener Burg seine Studienarbeit „Schlangennest“ gezeigt und am Düsseldorfer Schauspielhaus Arthur Millers „Hexenjagd“ inszeniert, die von Kritikern als „teuflisch gut gemacht“ gepriesen wurde. Man wird sehen, ob das auch auf seine Bulgakow-Inszenierung zutrifft. Die Premiere ist am Freitag. Mit unserer Redaktion sprach der 38-Jährige aus Kasachstan, der sich ab 2020 auch an Opern heranwagen will, zwischen den Proben.

In Deutschland ist die Erzählung „Hundeherz“ weniger bekannt. Wie kamen Sie zu dem Stoff?

Evgeny Titov: In Russland kennt den Stoff fast jeder – obwohl das Manuskript zunächst verboten war, lange in Archiven schlummerte und offiziell erst 1987 auf den Markt kam. Das hat auch mit dem berühmten Film von Wladimir Bortko aus dem Jahr 1988 zu tun. Ich finde, es ist ein unterschätzter Stoff, für die Bühne geeignet, weil er über den Wert menschlichen Lebens nachdenkt, und es dabei komisch, satirisch, fantastisch und exzentrisch zugeht.

Was steht für Sie im Zentrum Ihrer eigenen Textfassung?

Titov: Das Wichtigste für mich ist, zu zeigen, wie der Professor, ein hoch gebildeter Mensch, Verantwortung für seine Schöpfung übernehmen möchte und dabei trotz größter Anstrengung scheitert. Es geht um die Frage, was uns zu einem Menschen macht, und wie viel Toleranz wir im Umgang miteinander erlernen müssen.

Was heißt das konkret?

Titov: Der Professor sucht eigentlich nach der Formel für die ewige Jugend. Sein erklärtes Ziel ist die Eugenik oder, wie er selbst sagt, die „Veredelung des Menschen“. Als seine Vorstellungen sich nicht erfüllen, das Experiment quasi fehlschlägt, sieht er sich einem Wesen gegenüber, das immer schrecklichere Charakterzüge entwickelt. Die Konsequenz müsste lauten: Trotzdem akzeptieren wir diesen neuen Menschen, wir kümmern uns um ihn und integrieren ihn. Doch der Prozess der Annäherung ist für beide Seiten schmerzhaft.

Als Bulgakow den Roman verfasste, etablierten sich in Russland die Bolschewisten. War das Werk als Kritik am Sowjet-Kommunismus gedacht?

Titov: Ja. Im kommunistischen Denken waren alle Menschen gleich und durften nicht aus der Reihe des Kollektivs tanzen. Weder der Professor noch sein Geschöpf passen in diese Welt. Es gab wohl kaum einen schärferen Kritiker des Regimes als Bulgakow, der zeit seines Lebens zensiert und unterdrückt wurde.

Erwarten den Zuschauer auch Kommunisten-Sterne?

Titov: Vielleicht. (Er schmunzelt). Vor allem aber möchte ich diesem tollen Text, seiner Ernsthaftigkeit, seiner bitteren Satire und seiner Magie gerecht werden.

Wo wird der Wahl-Berliner Evgeny Titov in Zukunft arbeiten?

Titov: Ich werde 2020 meine erste Oper an einem großen Haus inszenieren. Genaueres darf ich noch nicht verraten, aber ich freue mich sehr darauf.

Würden Sie auch wieder im Rheinland Sprechtheater inszenieren?

Titov: Warum nicht? Ich arbeite sehr gerne hier. Das Düsseldorfer Schauspielhaus hat ein großartiges Ensemble!