Carsten Nicolai Carsten Nicolai präsentiert in Düsseldorf Sinuswellen als Poesie

Düsseldorf · Das Multitalent aus Chemnitz verwandelt K21 in ein Labor, wo der Besucher neu sehen und hören lernt.

Gute Künstler verändern Räume, und Carsten Nicolai ist ein sehr guter Künstler. Der 54-Jährige aus Karl-Marx-Stadt, dem heutigen Chemnitz, verwandelt das Souterrain von K21 in Wunderkammern. Dem Eintretenden schlägt eine gleißende Helligkeit entgegen, denn von der Decke bis zum Boden ist alles in Weiß getaucht und von LED-Stableuchten überstrahlt. Zwei gelbliche Laserstrahlen schießen durch die Leere. Aus verschiedenen Ecken ertönen merkwürdige Sounds.

Carsten Nicolai hat an der Documenta und an diversen Biennalen teilgenommen und ist Professor für zeitbasierte und digitale Medien in Dresden. Aber er ist unter dem Pseudonym Alva Noto ein ebenso berühmter Musiker mit einem streng pulsierenden Elektroniksound an der Grenze zum Minimal-Techno. In der Kunstsammlung inszeniert er im Verbund mit der Kuratorin Doris Krystof in fein justierter Weise den Zusammenklang. Man könnte den breit gefächerten Künstler auch als Wissenschaftler bezeichnen, der die physikalischen Gesetze ins Optische und Akustische übersetzt. Ein Multitalent also, wie es im Zeitalter des Spezialistentums immer seltener wird.

Die Quantenphysik wird in ein optisches Spektakel umgesetzt

Die Inszenierung gleicht einem Laboratorium, in dem der Betrachter staunen darf. Gleich der Auftakt mit „Tele“ (griechisch „fern“), dieser Dialog der Laserstrahlen, ist spannend. Zwei sechseckige Spiegel mit eingebauter Fotozelle stehen sich in großem Abstand gegenüber. Der erste Laser flitzt in 2,30 Meter Höhe über den Köpfen der Zuschauer durch den Raum und trifft auf einen Sensor. Der misst den entgegenkommenden Strahl, aktiviert dabei den zweiten Laser und schickt ihn zurück. Er habe sich in letzter Zeit viel mit Quantenphysik beschäftigt, so der Künstler. Die Erkenntnis, dass zwei räumlich getrennte Quantensysteme eine Art telepathische Verbindung miteinander haben, habe ihn bei seinem Werk beeinflusst.

Das Prinzip des Feedback demonstriert er auch in zwei kristallförmigen Körpern, der eine aus halbtransparentem Material, der andere aus lichtabsorbierender schwarzer Farbe. Schwarz und Weiß, Wahrnehmbares und Nicht-Wahrnehmbares bedingen einander. „Reflex“ nennt sich der kristalline Körper. Er fungiert als Skulptur und akustisches Objekt. Man darf ihn betreten und hört ein weißes Rauschen. Es besteht aus einfachen akustischen Partikeln und physikalischen Sinustönen, die durch die spezielle Akustik des kristallinen Körpers verbunden werden. Das Gegenüber nennt sich „Anti“, eine große, dunkle Leichtbaukonstruktion eines Polyeders, für den Dürers „Melencolia“ von 1514 Pate stand. „Anti“ wirkt abwehrend. Doch sobald sich der Betrachter nähert, beginnt der Kasten tief-tönend zu vibrieren. Die Kunst interagiert mit dem Menschen. Ihr Magnetfeld reagiert auf unsere elektrische Kapazität im Körper.

Der Besucher kann nicht einfach an den Werken vorbeigehen, er muss sich einlassen, hinhören, hinschauen, fühlen und begreifen. Er wird aber auch belohnt mit einem optischen Theater. „Unicolor“ nennt es sich. Der Kunstgänger nimmt im dunklen Raum auf einer breiten schwarzen Bank Platz und verfolgt die Aufführung von Farben. Sie stellen sich vor und treten wieder ab. Nicolai führt sie uns in wechselnden Modulen vor Augen und Ohren, denn jeder Farbe ist eine Tonfrequenz zugeordnet. In die Sitzbank eingelassene Verstärkerboxen unterstützen den Bild-Klang über zusätzliche Vibration. Nun können wir die Farben mit all unseren Sinnen wahrnehmen, zumal Nicolai noch durch seitliche Spiegelwände die jeweiligen Farbwellen scheinbar ins Unendliche fortsetzt. „Es geht nur um Schönheit“, sagt er. Naturphänomene als ästhetisches Vergnügen. Dass dazu mathematisches und physikalisches Wissen nötig ist, verschweigt der bescheiden wirkende Mann.

Vor den Bullaugenfenstern wird die Radioaktivität gemessen

Als Nicolai die Bullaugenfenster mit Blick auf den Kaiserteich sah, fühlte er sich an das Observatorium aus dem Film „Solaris“ von Andrei Tarkowski erinnert. Nun baut er seine eigene Messstation und misst mit einem analogen und einem digitalen Geigerzähler die Radioaktivität, um sie als Geräusche in den Raum zu übertragen. Aber keine Angst, wir Besucher gehen nicht in die Luft. „Radioaktivität ist eine ganz normale kosmische Strahlung. Sie existiert immer. Stünde allerdings in der Nähe ein Atomkraftwerk, würden die Zeiger hektischer reagieren“, sagt er.

Zu den kleinformatigen Besonderheiten gehört eine zehnteilige Fotoarbeit, wobei er Milch mit Sinuswellen von 10 bis 150 Hz in Bewegung gesetzt hat. Die wechselnden Schwingungen markieren sich als unterschiedliche Kräuselung auf der Oberfläche. Eine lyrische Poesie hat das „Quallenaquarium“, in dem die diaphanen Wesen, die zu 98 Prozent aus Wasser bestehen, mit ihren verbleibenden zwei Prozent wie ein Wunderwerk durch den Glaskasten tänzeln.

Der forschende Künstler sammelte Geräusche vom Alexanderplatz, dokumentierte die Daten und Frequenzen und versiegelte sie in verchromten Glasröhren wie Zeitkapseln. „Es ist die Erinnerung an einen Tag, die Vakuum-verschlossen wird, damit sie nicht entflieht“, sagt sein Galerist Gerd Harry Lybke, der ihn seit den Anfängen in der DDR begleitet. „Judy“, wie seine Freunde ihn nennen, erklärt auch zwei gelbe Pigmentdrucke, die wie Tafelbilder wirken: „Man taucht komplett ins Licht ein, obwohl es gar kein Licht ist. Carsten hat ein Polyestergewebe genommen und dahinter im Abstand des Rahmens eine gelbe Fläche gemalt. Die Gaze selbst ist nicht gelb, sie sieht nur so aus. Aber man verliert die Orientierung, wenn man die Tafeln betrachtet.“

Eine Schau ist dies aus lauter Wunderkammern. So gibt es Worte, die in Klangstrukturen aus Aluminium eingelassen sind. Oder Magnetbänder, die in einem maßgefertigten Gestell rotieren und ein Licht- und Schattenspiel ergeben.

Am 18. Januar wird seine audio-visuelle Live-Performance als Alva Noto mit Spannung erwartet. Er produziert minimalistischen Techno aus seinem Album Unieqav. Damit hatte er schon an so berühmten Orten wie dem Guggenheim Museum (New York), dem Centre Pompidou (Paris) und der Tate Modern (London) gastiert.

Info „Parallax Symmetry“, bis 19. Januar 2020. Ständehausstraße 1, Düsseldorf. Dienstag bis Freitag 10-18, Sa 11 bis 18 Uhr. Eintritt 12 Euro, ermäßigt 10 Euro, Kinder 6-17 Jahre 2,50 Euro. Karten zum Konzert an der Museumskasse für 15 Euro.