Interview „Flüchtlinge und Obdachlose, das ist kein Gegeneinander“

Düsseldorf · Interview Amtsleiterin Miriam Koch über die aktuelle Flüchtlingssituation und die neue Herausforderung, vor allem für Obdachlose Wohnungen zu finden.

Miriam Koch leitet das Amt für Migration und Integration der Stadt.

Foto: Judith Michaelis

Ende 2017 übernahm Miriam Koch, bis dahin Flüchtlingsbeauftragte, das Amt für Migration und Integration der Stadt. Ihr Aufgabengebiet hat sich verlagert, ihre Herausforderungen auch.

2015 war ein turbulentes Jahr für Düsseldorf. Im Sommer mussten innerhalb kürzester Zeit bis zu 1000 Plätze für Flüchtlinge geschaffen werden. An was erinnern Sie sich dreieinhalb Jahre später besonders?

Koch: Wir befanden uns damals im Krisenstab-Modus. Wir mussten schnelle Entscheidungen treffen, über Nacht Unterbringungsmöglichkeiten schaffen. Wir hatten schwierige Situationen zu bewältigen. Und das hat dazu geführt, dass auch wir in der Verwaltung uns ganz anders kennengelernt haben. Es ist eben ein Unterschied, ob man in den üblichen Verwaltungsvorgängen Kontakt miteinander hat oder mal eine Nacht gemeinsam am Fernbahnhof verbringt.

Wie ist die Lage aktuell? Wie viele geflüchtete Menschen werden monatlich aufgenommen?

Koch: Anfang 2015 hatten wir 150 Zuweisungen pro Monat, das steigerte sich dann innerhalb der nächsten Wochen auf das Vierfache. Mittlerweile sind wir wieder auf dem Stand von Anfang 2015 mit 150 Neuzugängen pro Monat. Zurzeit sind 4550 geflüchtete Menschen in Düsseldorf untergebracht.

Wie hat sich die Entscheidung zum Familiennachzug auf die Zahlen ausgewirkt?

Koch: Das Szenario, das aufgemacht wurde, durch den Familiennachzug würden so viele Menschen nach Deutschland strömen, ist nicht haltbar. Es kommen nicht besonders viele Menschen über den Nachzug nach Düsseldorf. Die Anzahl der erteilten Visa zeigt eindeutig, dass das noch nicht richtig funktioniert. Dabei ist der Nachzug für mich ein ganz wichtiges integrationspolitisches Instrument. Wer einmal erlebt hat, wie jemand davon berichtet, seine jahrelang vermissten Familienmitglieder am Düsseldorfer Flughafen endlich in die Arme schließen zu dürfen, der weiß erst, was es bedeutet, wenn der Nachzug verwehrt wird.

Wo sind die Menschen aktuell untergebracht? Welche Flüchtlingsunterkünfte existieren noch?

Koch: Wir haben 2015 begonnen, die Modulanlagen aufzubauen. Alle 17 – bis auf die an der Benrodestraße, die dieses Jahr abgebaut wird – sind neueren Typs und bleiben zunächst weiter bestehen. Auch in sechs ehemaligen Bürogebäuden bleiben Plätze bestehen. Insgesamt gibt es aktuell 4882 Wohnplätze für Flüchtlinge.

Was ist mit anderen Unterkünften?

Koch: Die damals notwendigen Notlösungen wie Leichtbau- und Traglufthallen sind wie vereinbart nach einem Jahr abgebaut worden. Durch unsere gute Planung haben wir, seit die Zahl der Zuweisungen sinkt und das ist schon seit Anfang 2017 der Fall, keinen großen Leerstand. Wir haben alle Unterkünfte, die zuvor von Flüchtlingen genutzt wurden, daraufhin untersucht, ob sie in Obdachlosenunterkünfte umgewandelt werden können. Konnten sie nicht umgewidmet werden, wurden die Mietverträge nicht verlängert oder gekündigt.

In sozialen Netzwerken ist dennoch oft Kritik zu lesen.

Koch: Ja, ich bekomme es auch immer wieder gespiegelt: Zum Jahreswechsel gab es beispielsweise die Diskussion um die Räumung der Platte am NRW-Forum. In den sozialen Netzwerken heißt es dann immer wieder: Warum können diese Menschen nicht in den leerstehenden Flüchtlingsunterkünften unterkommen? Ich kann nur betonen: Wir achten da sehr genau drauf. Wir haben erstens unsere freien Kapazitäten, wo es ging, umgewandelt in Obdachlosenunterkünfte und zweitens gibt es in den Unterkünften eine Auslastung von 90 Prozent. Da gibt es kein Gegeneinander von diesen zwei Personengruppen. Vielmehr ist es die Aufgabe des neuen Amts für Migration und Integration, sich um beide Personengruppen zu kümmern und Unterbringungsmöglichkeiten gemeinsam zu betrachten.

Was ist aktuell die größte Herausforderung?

Koch: Wir stoßen bei der Unterbringung von Obdachlosen an unsere Kapazitätsgrenzen. Wir haben schon im Herbst die Freigabe bekommen, zusätzliche 100 Plätze für alleinstehende Obdachlose anzumieten. Aber wir finden keine Objekte. Und wenn wir Objekte finden, wollen die Vermieter nicht an uns für Obdachlose vermieten. Wir werden nun versuchen, die Öffentlichkeitsarbeit zu verstärken. Damit haben wir auch damals bei der Suche nach Flüchtlingsunterkünften sehr gute Erfahrung gemacht.

Die Hilfsbereitschaft war damals riesig. Ist sie heute auch noch so groß?

Koch: Das Jahr 2015 war geradezu euphorisch. Der Ansturm war so groß, dass es schon schwierig wurde, alle Menschen, die ehrenamtlich tätig sein wollten, zu ihrer Aufgabe zu führen. Dann kam Silvester 2015/2016 mit den Vorfällen in Köln, und 2016 war geprägt von Angst und massiven Vorbehalten. Sicherlich ist auch aus diesem Grund die Bereitschaft, sich ehrenamtlich zu engagieren, zurückgegangen. Aber es gibt nach wie vor noch Helfer, die einen langen Atem beweisen, sogar ihre Lebensaufgabe in der Flüchtlingsarbeit gefunden haben und immer noch vollen Einsatz zeigen.

In welchen Bereichen wäre mehr ehrenamtliches Engagement nötig?

Koch: Im Bereich Sprache und Behördenbegleitung gibt es auf jeden Fall noch Bedarf. Auch für junge Erwachsene, die als unbegleitete Minderjährige nach Deutschland gekommen sind, wäre es wichtig, Unterstützung während ihrer Ausbildungsphase zu bekommen. Ganz weit weg sind wir von Sachspendenaufrufen. Nicht umsonst haben wir auch das städtische Sachspendenlager aufgelöst. Aber es gibt immer noch genug zu tun, um die Integration und den Zusammenhalt in dieser sich verändernden Gesellschaft zu fördern.

Wie ist die Prognose für dieses Jahr? Mit wie vielen Flüchtlingen rechnet die Stadt?

Koch: Wir stellen uns auf eine Stabilisierung der aktuellen Zahl ein, das heißt auf 150 Menschen pro Monat. Aber da sich niemand an Prognosen wagt in den übergeordneten Ebenen, wage ich das auch nicht für Düsseldorf. Die vergangenen Jahre haben gezeigt, falls es zu einer sprunghaften Erhöhung dieser Zahl kommen sollte, wissen wir, was zu tun ist.