So amüsant lief die Verleihung NRW-Staatspreis für die Toten Hosen: "Auch ein dreckiger Sieg bringt drei Punkte"

Düsseldorf · Punks treffen auf Establishment: Die Toten Hosen haben den NRW-Staatspreis aus den Händen des Ministerpräsidenten bekommen. So war das Aufeinandertreffen.

Campino (2.v.r.) und seine Band „Die Toten Hosen“ mit Andreas von Holst (links), Andreas Meurer (2.v.l.) und George Ritchie.

Foto: dpa/Ina Fassbender

Künstler, die auf Politiker abstrahlen – das hat es auf verschiedene Weise oft gegeben. Als aber dem NRW-Ministerpräsidenten Hendrik Wüst mit Entourage eingefallen ist, den NRW-Staatspreis in diesem Jahr an die deutsche Punkrockband Die Toten Hosen zu verleihen, wird er mindestens darüber gegrübelt haben, ob das für ihn eine wirklich gute Idee ist. Warum?

Am besten, man nimmt gleich den Kronzeugen Andreas Frege, alias Campino her, um der Antwort näher zu kommen: Die Hosen seien im Ratinger Hof in Düsseldorf groß geworden, erzählt Campino im Apollo Varieté Theater am Rheinufer zwischen Landtag und Staatskanzlei. In dem Laden also, in dem sich Punks, Musiker und Künstler trafen. „Wir standen aber alle dort ständig unter Beobachtung, wurden von Polizei und Staatsschutz fotografiert“, sagt Campino und spannt verschmitzt lächelnd den Bogen zum Jetzt, als Schlaks neben Schlaks steht und der 62-Jährige aus den Händen von Wüst den Staatspreis erhält. „45 Jahre später stehen wir hier neben dem Ministerpräsidenten. Und der muss uns einen Preis geben.“ Ob das Ehre, Pflichttermin oder sogar Schmach für die alternden Punks sei, wenn das sogenannten Establishment zur Preisverleihung hinabsteigt, erklärt Campino dann auf einmalige Weise treffend: „Eigentlich ist es wie beim Fußball“, sagt er: „Auch ein dreckiger Sieg bringt drei Punkte. Wir fragen nicht, wie er zustande gekommen ist.“

Wüst ist eher
der Typ Antipunk

Damit ist der Ton gesetzt. Und es bleibt ein eher einziges Schmankerl zivilen Ungehorsams am Mittwochmittag im dunklen Saal des Theaters, in dem es vorwiegend heiter, nett und unfallfrei zur Sache geht. Wohl auch, weil die Hosen sich längst selbst dem Establishment angenähert haben. Nahezu altersmilde. Wüst, von Haus aus Typ Antipunk, besteht die Prüfung, den Hosen freundlich und witzig gegenüber zu treten, ohne sich allzu sehr ranzuwerfen an die Musik-Stars, die zum Soundtrack dieser Republik gehören, wie kaum eine andere Band. Wo Vorgänger Armin Laschet, der jetzt gleich neben den Hosen am Tisch im Theater Platz genommen hat, 2017 noch Schriftsteller Navid Kermani, 2018 den Zirkusdirektor Bernhard Paul oder 2019 den ehemaligen Umweltminister Klaus Töpfer geehrt hatte, setzt Wüst seit Amtsantritt auf noch größere Namen und erkennbar auch mehr mediale Aufmerksamkeit: Vor den Hosen ehrte er Rennfahrer Michael Schumacher in Abwesenheit ob dessen tragischen Unfalls, danach die gerade abgetretene Kanzlerin Angela Merkel. Und jetzt eben die Toten Hosen.

„Die Toten Hosen waren immer laut und sie sind laut. Sie sind laute Stimmen für Demokratie und gegen Fremdenfeindlichkeit, gegen Antisemitismus und gegen rechtsextreme Gewalt“, sagt Wüst. Und verrät, dass er vorgefühlt habe in einem Telefonat bei Campino, ob denn ein solcher Preis überhaupt genehm sei. „Man will ja keine Absage erleben.“ In dem Gespräch, so viel Werbung muss dann doch in eigener Wüst-Sache sein, habe der Sänger den MP für die Geräuschlosigkeit gelobt, mit der Schwarz-Grün in NRW regiere. Und diesen Satz sagt Campino dann auch gleich noch einmal: „Davon können sich andere Landesregierungen und die Bundesregierung eine Scheibe abschneiden.“ Da applaudiert der Saal, in dem neben Freunden der Hosen als Gastgeber auch viele Politiker sitzen. NRW sei seine Liebe, ein „Melting Pott“ aus so vielen Kulturen, die sich „alle zusammenraufen“, ein Hort gegen Ressentiments gegen Ausländer. Mit vergleichsweise kleiner AfD-Zustimmung. „Ich wollte nirgendwo anders geboren sein.“

Wüst sagt: Nicht nur ihre Musik bewege seit mehr als 40 Jahren Millionen von Menschen über Generationen und alle sozialen Unterschiede hinweg. Die Band engagiere sich genauso mit Taten. „Sie gehören schon heute zum kulturellen Erbe und vertreten viele Werte, die auch für NRW wichtig sind“, sagt Wüst. Tatsächlich engagiert sich die Band um Campino, Andreas von Holst (Kuddel), Michael Breitkopf (Breiti), Andreas Meurer (Andi) und Stephen George Ritchie (Vom) seit Jahrzehnten für Menschen in Armut und schwierigen sozialen Lagen, sowohl in der Entwicklungs- und Flüchtlingshilfe ebenso wie in der Obdachlosenhilfe. Und half auch Sportvereinen wie Fortuna Düsseldorf oder der Düsseldorfer EG wieder auf die Beine, wenn die wieder mal vor der Insolvenz oder dem Absturz in die Bedeutungslosigkeit standen.

„Wir freuen uns über diese Auszeichnung. Wir wissen nicht, wie wir zu dieser Ehre kommen, aber wir verstehen das als Handreichung aus der bürgerlichen Mitte“, sagt Campino. „Wir sehen uns hier als Projektionsfläche, stellvertretend für viele, die sich hier in der Gesellschaft einbringen und vielleicht nicht so gesehen werden, aber diesen Preis allemal genauso verdient hätten.“ Das Preisgeld in Höhe von 25 000 Euro wolle die Band daher an Leute weitergeben, „die um jeden Penny kämpfen“, an ein Frauenhaus und ein Kinderzentrum in Düsseldorf.

Voraus geht Campino eine Laudatio des Filmregisseurs Wim Wenders. In der versucht der Bandfreund die Distanz der Hosen zum Staatspreis zu überwinden. „Niemand hat diesen Gegensatz besser gelebt als die Hosen“, sagt Wenders. „Sie wirken seit 1982 Diskrepanzen überwindend. Sie waren sich nie zu schade, sich einzumischen und haben sich um unsere Demokratie verdient gemacht.“ Wenders verrät auch nette Dertails: Dass die Hosen sich fast „Pariser“ oder „Tango-Brüder“ genannt hätten und erst eine bandinterne Abstimmung für den „bestussten Namen“ gesorgt habe. „Es ging ihnen nie um Erfolg. Das macht verdammt unabhängig“, sagt Wenders. „Diese gnadenlose Freiheit ist der Grund dafür, dass die Band machen konnte, was sie wollte.“

Den musikalischen Rahmen gaben derweil die Well Brüder aus Bayern, ein wunderbares Trio mit konservativ bayrischer Attitüde, die nur vorgespielt scheint. Was wohl auch die langjährige Freundschaft mit den Hosen erklärt, man kennt sich seit 40 Jahren und hat zuletzt musikalische Projekte mit dem bayerischen Kabarettisten Gerhard Polt absolviert. „Wir in Bayern haben ja einen solchen Staatspreis nicht. Nur einen bayerischen Verdienstorden. Und den bekommen bei uns in der Hauptsache abgehalfterte Bundesverkehrsminister“, sagt einer der Brüder und zusammen grüßen sie mit Trompete, Alphorn und anderen traditionellen Instrumenten herzlich-ironisch von ihrem Landesvater Markus Söder. Dass die Hosen auch beim ersten Staatspreis 1986 schon grundsätzlich infrage gekommen wären, erwähnt Wenders derweil ganz nebenbei. Und Wüst geht darauf ein: „Damals konnten sie sich wohl kaum vorstellen, dass sie mal den Staatspreis erhalten. Und ich glaube auch nicht, dass sie ihn annehmen würden.“